Erfolgreiches Vorgehen gegen absurde Meldeauflagen für Mutter und Tochter zur EM

25. Juni 2024

Anfang Mai erhielten Gesa M. und ihre Mutter Dorle M. eine Meldeauflage zu allen in Nordrhein-Westfalen stattfindenden Fußballspielen der UEFA Europameisterschaft. Diese sollte für 20 Termine über ca. vier Wochen, teilweise zwei Spiele pro Tag gelten. Jeweils 90 Minuten vor Spielbeginn sollten sich die beiden in einer ihrem Wohnort nahen Polizeiwache melden. Für jeden entsprechend versäumten Termin sollte ein Zwangsgeld von 250 Euro pro Meldeauflage, also pro Person, erhoben werden. Die beiden wehrten sich gemeinsam mit dem RAZ e.V. erfolgreich gegen diese, in ihre Grundrechte stark eingreifende, Form der Repression mit einer Eilklage.

Auch wenn unsere Eilklage erfolgreich war und zu einer für die beiden Betroffenen akzeptablen Regelung führte (siehe weiter im Text), bleibt ein schaler Beigeschmack, bleibt bei Mutter und Tochter Unsicherheit zurück. Dorle M. hat einen Erfahrungsbericht zu den Geschehnissen geschrieben, den wir hier leicht angepasst und gekürzt als Grundlage nutzen, über das Geschehene zu berichten und dieses einzuordnen:

Die Meldeauflage kam von der entsprechenden Kreispolizeibehörde des Wohnorts der beiden, wobei vor der finalen schriftlichen Meldeauflage ein schriftlicher Anhörungsbogen zugestellt wurde, der das Vorhaben bereits erläuterte und den beiden die Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung gab. Die Begründung ist bei Gesa M. im Wesentlichen die hohe Anzahl ihrer Protestaktionen mit der Letzten Generation und ein erfolgreicher Protest in einem Fußballstadion von ihr im Sommer 2023 beim Länderspiel Deutschland gegen Kolumbien. Deshalb seien von ihr weitere Aktionen im Rahmen der EM zu befürchten. Bei Dorle M. liegt die Begründung darin, dass auch sie bei einigen (deutlich weniger) Protesten angetroffen wurde – völlig absurderweise außerdem, dass sie die Mutter ihrer klimaaktivistisch auffallenden Tochter sei.

In der schriftlichen Anlage heißt es wortwörtlich: ‘Aufgrund der zahlreichen verzeichneten Delikte im Zusammenhang von Klimaaktionen und des Faktums, dass die Gesa M. auch bereits im direkten Zusammenhang mit Fußballspielen polizeilich in Erscheinung getreten ist, kann davon ausgegangen werden, dass gleichgelagerte Delikte während der UEFA-Fußball-Europameisterschaft […] begangen bzw. angestrebt werden’.

“Es ist absurd. Meine erste Reaktion war ungläubiges Lachen. Zum Glück war ich nicht alleine, als dieser Brief kam. Meine Tochter und ihr Freund waren da. Wir konnten uns austauschen, gleich aktiv werden, recherchieren, uns hinsichtlich der Anhörung und des weiteren Vorgehens austauschen.
Die mir vorgeworfenen Aktionen sind teilweise falsch dargestellt, z.B:

Am 07.10.2023 gegen 12.26 Uhr haben Sie mit DREI weiteren Klimaaktivisten die Zufahrt zum Kohlekraftwerk Lünen mit ZEHN Kanus blockiert.’

Ich saß dort weder alleine in einem Kanu, geschweige denn zu dritt in zehn Kanus, sondern habe nur an einer angemeldeten Mahnwache teilgenommen, bei der meine Personalien aufgenommen wurden.
Die Meldeauflage betrifft nur die Spiele in NRW. Nach Hamburg, Berlin oder Stuttgart könnte ich also fahren. Föderalismus…
Wir haben uns dann schriftlich dazu geäußert: dass wir nichts vorhaben. Dass wir uns auf den Wertekonsens der Letzten Generation berufen, der besagt, dass wir gegenüber der Polizei und den Behörden stets die Wahrheit sagen. Wir haben darauf verwiesen, dass wir es als krassen Einschnitt in unsere Grundrechte empfinden und private Termine betroffen sind bzw. spontane Freizeitgestaltung massiv über Wochen eingeschränkt wird. Wir bekamen einen weiteren Brief mit der Aufforderung, unsere privaten Termine nachzuweisen. Dazu waren wir nicht bereit. Es ist u.a. die Abiturfeier meiner Tochter betroffen.”

In der finalen Meldeauflage geht der Kreisverwaltungsdirektor in der Begründung der Auflage wie folgt darauf ein: ‘In Ihrer Einlassung vom 13.05.2024 gehen Sie im Wesentlichen darauf ein, dass Sachverhaltsschilderungen einzelner Protestaktionen zumindest in Teilen nicht vollständig wiedergegeben werden. […] Sie würden zudem nicht beabsichtigen, sich vor oder während der EM an Protestaktionen mit Bezug zur Europameisterschaft zu beteiligen. Mit dem Bezug zu Ihrer Tochter würden Sie zudem den Begriff der “Sippenhaft” oder “Clan-Kriminalität” assoziieren. Aus Ihrer Sicht gleiche eine einmonatige Meldeauflage einem erweiterten Hausarrest mit erheblichen Einschnitten in Ihre Grundrechte. Sie, führen sodann eine Reihe beruflicher und privater Verpflichtungen auf, denen Sie durch die Meldeauflage nicht nachkommen können. Aufgrund dieser Einlassung habe ich Sie mit Schreiben vom 16.05.2024 gebeten, nachweisbare Verpflichtungen konkret zu benennen. Hierzu haben Sie mit Schreiben vom 21.05.2024 mitgeteilt, dass Sie davon absehen, da Sie die Angabe Ihrer privaten Termine für einen unzulässigen Eingriff in Ihre Persönlichkeitsrechte halten. Auch unter Berücksichtigung Ihrer Einlassung erachte ich die Meldeauflage als verhältnismäßig.’

Nicht die ersten Meldeauflagen für Aktivist:innen der Letzten Generation

Es ist nicht die erste Meldeauflage, die Aktivist:innen der Letzten Generation erhalten haben. Bereits in der Vergangenheit gab es einige Fälle, in denen Menschen sich teils über Wochen zweimal am Tag in ihrem Wohnort bei der Polizei melden musste – meist um zu verhindern, dass sie zu Stoßzeiten Straßenblockaden in anderen zum Zeitpunkt von der Letzten Generation fokussierten Orten durchführen. Gegen diese Meldeauflagen wurde auch in der Vergangenheit bereits erfolgreich vorgegangen – wie auch in diesem Fall gelten diese Meldeauflagen aber bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie aufgehoben oder ruhend gestellt werden, trotzdem.

Kritik an dem Mittel der Meldeauflage

Bemerkenswert sind im Falle der Meldeauflagen vor allem die Willkür und die Ineffektivität. Es traf bei der Letzten Generation immer einzelne wenige Personen, die sich nicht an anderen oder mehr Protesten beteiligten, als viele andere auch.
Diese Meldeauflagen sind aus unserer Perspektive vor allem eins: Eine Form der einschüchternden Repression. Den Behörden geht es nicht zuallererst um die effektive Verhinderung von möglichen Straftaten, sondern um die Abschreckung der gesamten Gruppierung durch beispielhaftes Vorgehen und die Einschränkung einzelner Aktivist:innen.  Wirkungsvoll kann ein solch repressives Vorgehen deshalb sein, da Angst bei weiteren Aktivist:innen entsteht, dass auch sie in Zukunft das kürzere Streichholz ziehen könnten und selbst eine solche Meldeauflage zugestellt bekommen.  Das hier thematisierte Vorgehen der Behörden reiht sich ein in weitere Abschreckungsmethoden, die im Kontext von Aktionen der Letzten Generation eingesetzt werden, wie zum Beispiel die steigende Anwendung von Schmerzgriffen. Rechtsstaatlich sollte ein solches Vorgehen als höchst fragwürdig und unangemessen für eine liberale Demokratie eingeordnet werden, da sogenannte “chilling effects” innerhalb der Gesellschaft erzeugt werden.  

Nach Erhalt der Meldeauflage besuchte Dorle die Bürger:innensprechstunde eines lokalen Mitglieds des Bundestags, Hans-Jürgen Thies von der CDU. Mit diesem wollte sie eigentlich über den zum Zeitpunkt laufenden Hungerstreik in Berlin für Klima-Ehrlichkeit des Bundeskanzlers sprechen. Im Laufe des Gesprächs erwähnte Dorle M. auch ihre Meldeauflage und gab Thies folglich den Bescheid zu lesen. Kritik und unerwartetes Engagement bezüglich der Meldeauflage folgten dann auch von seiner Seite. Dorle M. erzählt von ihrem Austausch:

“Wir kennen uns aus mehreren Gesprächen, die ich zusammen mit anderen im Rahmen meines lokalen Engagements geführt habe. Wir haben einen guten Draht und kommen menschlich gut miteinander aus. Er fand die Meldeauflage absurd, rechtlich fragwürdig. Die Letzte Generation fand er natürlich nicht gut. Trotzdem ist er selber dann am nächsten Tag damit zur Presse gegangen. Er hat den Journalisten gebeten, sich beim Innenministerium zu erkundigen, wie viele Menschen von einer solchen Maßnahme betroffen sind: Es sind 5 in NRW. Wobei da der Hintergrund der anderen Meldeauflagen nicht klar ist. Außerdem hat er sich mit der Aussage zitieren lassen, dass er das rechtsstaatlich grenzwertig findet.

Es hat mich sehr gefreut, dass Herr Thies sich für uns eingesetzt hat. Bei einem Termin, den er mit NRW’s Innenminister hatte, hat er Herrn Reul auf unseren Fall angesprochen. Das hat er mir bei einem Telefonat erzählt. Zwischenzeitlich hatte ich immer noch die Hoffnung, dass die ganze Sache fallen gelassen wird.”

Am 28. Mai erreichten Dorle M. und Gesa M. dann jedoch die finalen Meldeaufagen. Nach Beratung mit dem RAZ e.V. und Anwält:innen reichten die beiden eine Eilklage ein. Es folgte zwei Tage vor offiziellem Beginn der EM in Deutschland ein Termin mit der zuständigen Kreispolizeibehörde, bei der der Kreisverwaltungsdiektor, der die Meldeauflage unterschrieben hatte, zwei Polizisten, ein Richter sowie Dorle, Gesa und deren Anwalt anwesend waren.

“Der Richter hat die Rechtmäßigkeit, die Sinnhaftigkeit und die Verhältnismäßigkeit der Meldeauflage in Frage gestellt.”

Es wurde bei diesem Treffen eine Vereinbarung erwirkt: Die Meldeauflagen bleiben zur Bewährung bestehen: Die beiden müssen nicht zu den Terminen erscheinen, es wird für das Nicht-Erscheinen kein Zwangsgeld festgesetzt. Konsequenzen bzw. eine Wiederaufnahme der Meldeauflage findet nur statt, wenn sie polizeilich erneut mit einem Fußballspiel in Erscheinung treten würden. 

“Wobei der eine Polizist noch hinzufügte, dass es in diesem Falle nicht bei einer Geldbuße bleiben würde, sondern dass dann bis zu 10 Tage Präventivhaft drohen. Der Richter hat das alles in sein Diktiergerät gesprochen, es wird abgetippt und der Beschluss wird uns per Post zugestellt. Wir sind also ohne etwas Schriftliches gegangen. Erstmal große Erleichterung bei mir!”

Die entstandenen Kosten des Verfahrens trägt weitestgehend die Behörde. Eine Alternative zu dieser Einigung, um die Meldeauflage ganz zu kippen, wäre eine Klage vor dem Oberverwaltungsgericht gewesen. Das hätte länger gedauert und entsprechend auch verschiedene Ressourcen bei ungewissem Ausgang gekostet.

Besuch zweier Beamt:innen am Sonntagnachmittag Zuhause

Abgeschlossen war die Auseinandersetzung mit den Behörden für Dorle und Gesa dann allerdings nicht. Dorle erzählt den weiteren Verlauf:

“Am Samstag, 15. Mai war hier bei uns eine Mahnwache, organisiert als Solidaritätsveranstaltung mit den sechs Menschen der Letzten Generation, die der Bildung einer kriminellen Vereinigung beschuldigt werden, und mit dem lokalen Bezug zu meiner Tochter und mir. Die Mahnwache war für mich noch ein emotionaler Meilenstein. Vielen Dank allen Menschen, die unseren Aufruf geteilt haben und allen, die gekommen sind. Danke für die berührenden Redebeiträge. Danach war ich geschafft und müde, aber ich dachte, jetzt ist es durch, es ist erledigt. Der Druck ist abgefallen.

Am Sonntagnachmittag, 16. Mai um 16 Uhr kamen zwei Beamtinnen der Kripo Dortmund, Abteilung Staatsschutz (in Zivil) zu mir nach Hause. Ich hatte noch Besuch von einer befreundeten Familie mit zwei Kleinkindern. Meine Freundin war gerade dabei, in der Einfahrt das Auto zu packen. Die beiden Beamtinnen erkundigten sich nach mir und meiner Tochter. Meine Freundin kam ins Haus, um mich zu holen. Sie wollte die Haustür hinter sich schließen, was jedoch nicht ging, da die eine Beamtin ihren Fuß in die Tür gesetzt hatte, um ein Schließen der Tür zu verhindern.
Die Beamtin erkundigte sich dann bei mir, wo meine Tochter sei, die aber nicht zu Hause war. Meinen Hinweis auf das Aussetzen der Meldeauflage auf Bewährung und das Treffen mit dem Richter 4 Tage zuvor beantwortet sie damit, dass es nichts Schriftliches gäbe. Es gab wohl zwei Tage nach dem Richtertermin ein persönliches Gespräch von einer der Beamtinnen mit dem Kreisverwaltungsdirektor, anscheinend mit dem Ergebnis, dass sie mal bei mir vorbeischauen sollten.
Ich bekam dann eine Gefährderansprache. Weil ich am Samstagabend nicht zum Meldetermin erschienen war. Ich solle keine Fußballspiele stören und keine linksaktivistischen Taten verüben (von linksaktivistischen Taten war in der offiziellen Meldeauflage bisher nie die Rede, die eine Beamtin verwendet den Begriff aber zweimal). Und ich bekam den Rat, der Meldeauflage nachzukommen und mich auf der Wache zu melden, bis etwas Schriftliches vorliege.
Meine Tochter ist am Wohnort ihres Freundes auch besucht worden. Dort stellten sie nicht den Fuß in die Tür, sagten aber, dass es nicht stimme, dass die Meldeauflage zur Bewährung ausgesetzt sei. Es fielen dann auch Sätze, dass sich meine Tochter jeden Tag um 19.30 Uhr zu melden habe, auch unabhängig von Fußballspielen. Verwirrend.
Ich empfinde das alles als krasse Repression, als Einschüchterungsversuche und als Machtdemonstration. Es wühlt mich wieder auf, macht mich wütend und macht mir Angst. Ich schlafe schlecht. An den ersten Tagen danach habe ich bei jedem Auto, das durch die Straße fuhr, aufgehorcht.
Mein Vertrauen in den Rechtsstaat hat einen weiteren großen Knacks bekommen.
Was mir hilft, das alles emotional zu verkraften, sind die Menschen, die sich in persönlichen Gespräche und Nachrichten erkundigt haben, wie es mir damit geht, die mir zugehört und mir ihre Solidarität gezeigt haben, die den Aufruf für die Mahnwache geteilt haben, die zur Mahnwache gekommen sind, die mich in den Arm genommen haben oder sich in anderer Weise menschlich, berührbar oder solidarisch gezeigt haben und zeigen.
Vielen, vielen Dank dafür. Es ist so wertvoll, in dieser für mich absurden und krassen Situation Verbundenheit zu spüren.”

Neben der Betreuung von Gerichtsverfahren, die für viele am sichtbarsten ist, besteht ein großer Teil unserer Arbeit beim RAZ e.V. auch aus solchen Betreuungen von Aktivist:innen. Ein großer Teil der Repressionen, die Menschen trifft, ist nicht öffentlich sichtbar, wie Schmerzgriffe auf der Straße. Umso wichtiger ist es uns, dass sich niemand alleine fühlt in der Bewältigung eben dieser Repressionen.