Impressionen aus dem Gerichtssaal

Seit Sommer 2022 wächst die Zahl von Verfahren, in denen Klimaaktivist:innen sich vor Gericht für ihre Proteste verantworten. Hintergrund sind meistens medienwirksame Proteste mit Vorwürfen der Nötigung (§ 240 StGB), Sachbeschädigung (§ 303 StGB), oder auch der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt:innen (§ 113 StGB).

Wir ermutigen Aktivist:innen regelmäßig in der Betreuung und Vorbereitung der Verfahren, ihre Beweggründe vor Gericht offen darzulegen. Hierfür werden dann meistens schriftliche Einlassungen und Schlusswörter vorbereitet. In diesen Schriftsätzen finden sich viele inspirierende und bewegende Geschichten. Hier ist eine Auswahl aus Gerichtsverfahren der letzten Monate zu finden.

Einlassungen und Letzte Worte von Aktivist:innen

„Das Wissen um die Klimakatastrophe ist doppelt so alt wie ich“ – Einlassung zum Farbprotest am Brandenburger Tor.

Mein Name ist R. S., und ich bin 22 Jahre alt. Das Wissen um die Klimakatastrophe ist doppelt so alt wie ich. Ich studiere Medizin und arbeite nebenbei auf einer Intensivstation.

Und ich habe am 17.09.23 gemeinsam mit anderen Menschen das Brandenburger Tor orange eingefärbt.

Die Klimakatastrophe ist da und sie ist tödlich.
Bis 2050 sterben 14,5 Millionen Menschen an der Klimakatastrophe
Die Klimakatastrophe ist die größte Gesundheitsgefahr der Menschheitsgeschichte – sagt die WHO.
Die Klimakatastrophe ist da, und wir könnten sie noch aufhalten.
Aber das Zeitfenster, in dem wir sie noch aufhalten können, schließt sich gerade. Klimaschutz ist Teil unserer Verfassung.
Und Klimaschutz ist ein Menschenrecht. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat gerade die Schweiz dafür verurteilt, mit ihrer Mangelhaften Klimapolitik gegen die Menschenrechte zu verstoßen. Nichts gegen die Klimakatastrophe zu unternehmen ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte.
Es geht hier nicht um die Eisbären, oder um ein bisschen mehr Hitze im Sommer.
Es geht um Dürren, Hungersnöte, es geht um Hitzetote und um Flutkatastrophen.
Es geht um die Fluten in Lybien und im Ahrtal, die Dürre am Horn von Afrika und in Frankreich, die Waldbrände in Spanien, Griechenland und Brandenburg.
Es geht um Menschenleben. Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Wir dürfen die Klimakatastrophe nicht länger ignorieren, weil jede Minute, in der wir nicht handeln, tödlich ist. Der Protest am Brandenburger Tor war unignorierbar. Wir haben damit unignorierbar auf die Klimakatastrophe aufmerksam gemacht.

Darauf, dass seit 40 Jahren die Wissenschaft ignoriert wird und keine notwendigen Maßnahmen eingeleitet werden.
Darauf, dass unsere Bundesregierung es noch nicht einmal schafft, das Ausmaß der Katastrophe ehrlich zu kommunizieren.

Darauf, dass die Regierung jedes Jahr 60 Milliarden Euro in fossile Subventionen, in die Befeuerung der Klimakatastrophe investiert. 60 Milliarden Euro, an denen Menschen sterben.
Darauf, dass deshalb Menschen sterben – im Ahrtal, im globalen Süden und im Berliner Hitzesommer. Sie sterben in der Klinik, in der ich mein FSJ gemacht habe, in der Klinik, in der ich gerade arbeite und in den Kliniken, in denen ich irgendwann mal arbeiten werde. Sie sterben in Altenheimen, in Kindergärten, auf der Straße oder zuhause.

Wir haben mit dem Protest unignorierbar darauf aufmerksam gemacht, dass die Klimakatastrophe uns alle etwas angeht.

Darauf, dass es unser Grundgesetz und unsere Menschenrechte sind, die jeden Tag gebrochen werden. Darauf, dass es unsere Demokratie ist, die in Gefahr ist.

Wir haben unignorierbar darauf aufmerksam gemacht, dass wir das nicht länger akzeptieren dürfen.

Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir darüber reden.
Und um darüber reden zu können, müssen wir erst einmal darauf aufmerksam machen. Und das haben wir. Und es hat dazu geführt, dass wir darüber geredet haben, auf den großen und kleinen Bühnen, in Podiumsdiskussionen und beim Abendbrot, in Stammtischen und im Büro, auf der Straße und im Netz.

Das BBT ist ein Denk-Mal. Es hat mehr Aufgaben, als nur auf Touri-Fotos zu sein.
Es steht da und erinnert uns heute daran, dass einmal die Mauer fiel.
Vor 200 Jahren hat es die Menschen an das Ende der napoleonischen Herrschaft erinnert. Und im Herbst hat es, zumindest für eine kurze Zeit, an die Klimakatastrophe erinnert. Hedwig Richter, Professorin für neue und neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München, hat unsere Aktion „einen würdigen Gebrauch unseres Nationaldenkmals genannt“.

Es ist schon ein wenig absurd, dass wir jetzt hier vor Gericht stehen und angeklagt werden, weil wir auf die Grund- und Menschenrechtsverletzungen der Bundesregierung aufmerksam gemacht haben.
Angeklagt, wegen ein bisschen wasserlöslicher Farbe auf offenporigem Sandstein, während jeden Tag Menschen durch das Handeln der Bundesregierung umgebracht werden.

Ein riesiger Prozess, als hätten wir keine größeren Probleme als wasserlösliche Farbe auf offenporigem Sandstein, als würden nicht täglich die Grund- und Menschenrechte verletzt werden, Menschen an den Folgen der Klimakatastrophe verrecken oder im Mittelmeer ertrinken.

Ihr sagt, wir sollen doch bitte so protestieren, dass es niemanden stört.
Ich protestiere nicht zum Selbstzweck, das könnt ich auch zuhause machen.
Ich protestiere, um mir Gehör zu verschaffen.
Die Gewinnerin des diesjährigen Studienpreises, Samira Akbarian, sagt, dass Konsens, Gehorsam in einer Demokratie überhaupt nur dann erreicht werden kann, wenn Dissens, also Ungehorsam möglich ist. Ziviler Ungehorsam zeigt ein Demokratiedefizit auf.
Er tritt immer dann in den Raum, wenn andere Wege nicht gehört wurden.

Das Recht, zu protestieren beinhaltet nicht nur das Recht, meine Meinung zu äußern, sondern auch das Recht, diese Meinung hörbar, sichtbar zu machen.
Es ist eine schwerwiegende Einschränkung, dass ich nur protestieren darf, wenn mein Protest nicht stört, nicht sichtbar ist und einfach ignoriert werden kann.

Es ist mir nicht leicht gefallen, diesen Protest zu machen.

Das Wissen um die Klimakatastrophe ist doppelt so alt wie ich, und die Untätigkeit der Regierungsverantwortlichen auch.
Was soll ich tun, als 22-jährige Person, wenn 40 Jahre Petitionen und angemeldete Demonstrationen nichts gebracht haben gegen eine Katastrophe, in die ich ungefragt hineingeboren wurde, die ich nicht verursacht habe?

Was soll ich tun, wenn ich weiß, dass die Bundesregierung gerade nichts tut, um meine Lebensgrundlagen zu schützen? Wenn ich weiß, dass ihr das anscheinend zu egal ist?

Auch wenn das Wort „offenporiger Sandstein“ in diesem Prozess heute oft fallen wird, geht es hier nicht wirklich um den Sandstein.

Es geht um die Frage, was wir tun, wenn unsere Regierung ihre eigene Verfassung bricht. Wenn sie vom Bundesverfassungsgericht verurteilt wird, und trotzdem weitermacht wenn eine Regierung gegen Grund- und Menschenrechte verstößt und auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts sie nicht davon abbringt.

Wenn Sie sich für Profite von Konzernen und den Luxus von Superreichen entscheidet und damit Menschen umbringt. Wenn schon seit Jahren Menschen an einer Katastrophe sterben, die wir einfach aufhalten könnten, deren Tod wir einfach verhindern können.

Wenn es den Verantwortlichen egal ist, wie viele Menschen jeden Sommer an der Hitze verrecken, an Dürren, an Hungersnöten oder in Fluten wie im Ahrtal. Es ist eine aktive politische Entscheidung, dass diese Menschen sterben, und die Regierung könnte diese Entscheidung jederzeit auch anders treffen.

Es geht um die Frage, wie wir mit dem Wissen um die Folgen der Klimakatastrophe umgehen, mit dem Wissen, dass wir sie noch aufhalten können und mit der daraus resultierenden Verantwortung.

Es geht um die Frage, ob – in Anbetracht der Gefahr, die die Klimakatastrophe für die Menschheit, die Demokratie und das Leben darstellt – es legitim ist, darauf aufmerksam zu machen, indem man Farbe aufs Brandenburger Tor sprüht.

Ehrlich gesagt, es wäre falsch, es nicht zu tun.

„Die Bundesregierung verweigert ihre Arbeit“ – Einlassung zum Farbprotest am Brandenburger Tor.

Ich heiße W. L., bin 64 Jahre alt und hatte in meinem Leben bisher verschiedene Berufe. Ich habe als Orgelbauer:in, Tischler:in, Drucker:in, Hausmeister:in und Tanzlehrer:in gearbeitet. Inzwischen bin ich Rentner:in.

Am 17. September des letzten Jahres habe ich zusammen mit anderen Aktivisten der Letzten Generation, die Säulen des Brandenburger Tors eingefärbt.

Es war der Auftakt zu einer Protestwelle gegen die zerstörische Klimapolitik der Bundesregierung.

Einer Politik, die die zukünftigen Lebensgrundlagen der Menschheit verspielt, für ein bequemes und sattes Leben im Jetzt und hier in den Industrienationen.

Ich halte die Proteste der Letzten Generation im Angesicht der beginnenden Klimakatastrophe für angemessen und notwendig. Durch diese Proteste gelang es das Thema Klimaschutz in der öffentlichen Wahrnehmung zu halten, trotz Krieg in der Ukraine, trotz „Energieknappheit“ und Inflation, trotz antisemitischen Terrors der Hamas in Israel und dem Krieg im Nahen Osten, trotz des Aufgstiegs der faschistischen AFD. Und das ist absolut notwendig. Vielen Menschen scheint die schier unfassbare Dimension und Dynamik, der auf uns zu rasenden Klimakatastrophe nach wie vor nicht klar zu sein, vor allem, dass es ab bestimmten Punkten kein Zurück mehr in die klimatischen Bedingungen der letzten Jahrtausende gibt, die die sagenhafte Entwicklung der Menschheit erst ermöglicht haben. Wenn bestimmte klimatische Kipppunkte überschritten sind, rasen wir unaufhaltsam in die Klimahölle. Weite Teile der Erde werden für Menschen nicht mehr bewohnbar sein, für die Lebensmittelproduktion werden nicht mehr genügend Flächen zu Verfügung stehen.

Mit 8 Milliarden Menschen ist quasie die gesamte im Moment z. Zt. noch bewohnbare Erdoberfläche von Menschen besiedelt; es gibt es keine Ausweichmöglichkeiten, die für diese große Menge von Menschen ohne kriegerischen Auseinandersetzungen denkbar wären. Es wird Verteilungskämpfe und Kriege um Wasser, Land und andere lebensnotwendige Ressourcen geben. Autoritäre und populistische Regierungen werden überhand nehmen, Demokratien werden wir nur noch aus den Geschichtsbüchern kennen. Soziale Gemeinwesen werden sich, wenn alle ums Überleben kämpfen müssen, nicht mehr behaupten können. Es ist so wie der Generalsekretär der UN, António Guterres sagt: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“

Die Überschwemmungen vorletzten Sommer in Pakistan mit über 1500 Toten und Millionen Obdachlosen, die Dürren in Italien und Frankreich, inzwischen auch im Winter und im letzten Sommer katastrophale Brände und Überschwemmungen im Mittelmeerraum, zeigen, dass die Folgen des menschengemachten Klimawandels sehr bald unser bequemes Leben massiv beeinträchtigen werden.

Und die Bundesregierung verweigert die Arbeit. Sie weigert sich, das Pariser Klimaschutzabkommen, das mit überwältigender Mehrheit des Bundestages angenommen wurde, umzusetzen. Weigert sich, die schon zu geringen, eigenen Vorgaben zu erfüllen, weigert sich einfachste Sicherungsmaßnahmen, wie ein Tempolimit einzuführen; verwässert die sowieso schon viel zu schwachen Klimagesetze. Sie setzt weiter und verstärkt auf fossile Energieträger, die den Energieheißhunger unserer Gesellschaft stillen sollen. Fördert die Erschließung und Ausbeutung neuer Erdgasfelder vor dem Senegal, verpflichtet sich mit Gaslieferverträgen mit Katar mit einer Laufzeit von 15 Jahren auch dann noch Erdgas abzunehmen, wenn wir überlebensnotwendiger Weise schon lange komplett auf erneuerebare Energie umgestiegen sein müssten.

Sie verweigert sich ihrem Verfassungsauftrag unsere Lebensgrundlagen und auch die künftiger Generationen zu schützen.

Wir wollen erreichen, dass die Bundesregierung endlich kommuniziert, dass unser Konsum nicht immer weiter wachsen kann, sondern dass wir massive Einschränkungen hinnehmen müssen, wenn wir nicht alles verlieren wollen. Und ich hoffe, dass sie endlich die notwendigen politischen Rahmenbedingungen für diese Maßnahmen schafft.

Das kann nur gelingen, wenn sich richtig viele Menschen dazu durchringen diese Fahrt in den Tod nicht mehr mitzumachen und mit uns zusammen protestieren. Darum will ich alle dazu einladen gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Menschheit eine

noch einigermaßen auskömmliche Zukunft hat. Wir müssen alle unserer Verantwortung gegenüber den nächsten Generationen und der Menschen, die jetzt schon massiv unter den Folgen des Klimawandels leiden, gerecht werden.

Wir sind alle leider die letzte Generation vor den Klima-Kipppunkten, die letzte Generation, die noch etwas gegen die Klimahölle unternehmen kann.

„Die Klimakrise ist nicht nur eine ökologische Krise, sondern…“ – Worte einer Aktivistin der Letzten Generation aus ihrer Einlassung.

Ich würde an dieser Stelle gerne ein wenig ausholen und Kontext zu meiner Person und Motivation für mein Engagement geben.

Ich erinnere mich ziemlich gut an den sonnigen Herbsttag, vor ein bisschen mehr als zwei Jahren, als ich das erste Mal durch Freiburg gelaufen bin. Ich war aufgeregt und gespannt – eine neue Stadt, neue Menschen, anfangen zu studieren. Vermutlich bin ich sogar am Amtsgericht vorbeigekommen, und hätte mir zu dem Zeitpunkt ziemlich sicher nicht vorstellen könne, dass ich zwei Jahre später hier auf einer Anklagebank sitze und mir aus dicken Akten vorgelesen wird, was mir zur Last gelegt wird.

Ich bin hierher nach Freiburg gezogen, um Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften zu studieren. Die Natur war schon immer von großer Bedeutung für mich und ich wollte mehr wissen. Wie Ökosysteme funktionieren, wie komplex und einzigartig unsere Natur ist und wie alles miteinander zusammenhängt. Mir wurde schnell klar, dass das auch bedeutet, dass alles sehr fragil ist und dass manche Dinge, wenn sie aus dem Jahrtausende alten, genau aufeinander abgestimmten Gleichgewicht geraten, nicht mehr so leicht wieder in Balance zu bringen sind.

Ich wollte auch mehr wissen über Mensch-Umwelt-Gesellschafts-Beziehungen, wie wir als Menschen untrennbar mit unserer Umwelt verbunden sind und als Gesellschaft mit ihr in Verbindung stehen. Ich finde diese Schnittstelle zwischen Mensch und Umwelt besonders spannend: wie kann ich Wissen über unsere Natur in die breite Masse kommunizieren und andere dafür begeistern und Bewusstsein schaffen. Auch hier wurde mir schnell klar, dass das alles viel mehr miteinander zusammenhängt, als ich gedacht habe und dass ökologisch Krisen häufig der Ausdruck und die Folge von sozialen Krisen, Ungleichheiten und Ausbeutungsverhältnissen sind.

Mein Studium macht mir viel Spaß und ich bin froh, es gewählt zu haben. Aber es gibt Zeiten und Tage, da kann es auch sehr belastend sein und ich gehe verzweifelt aus dem Hörsaal, mit einem Kopf, der sich dreht vor Zahlen, Diagrammen und Prognosen. Denn wir lernen eben auch sehr viel über Mechanismen und Prozesse, die im Moment so ziemlich den ganzen Zustand unserer Umwelt, wie wir sie kennen, verändern. Die Klimakrise ist allgegenwärtig in meinen Vorlesungen und meinem Alltag.

Ich denke oder hoffe sehr, dass alle hier Anwesenden im Bild sind darüber, wie unsere Welt aussehen wird, wenn wir der Klimakrise keinen Einhalt bieten. Und über das Leid, was ihre Folgen heute schon tagtäglich verursacht. Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle nicht in langen Ausführungen verlieren, die wir alle schon tausendmal gehört haben. Ich möchte stattdessen nur ein paar wenige Punkte anreißen, die einfach immer wieder gesagt werden sollten.

Wir steuern momentan auf eine ca. drei Grad heißere Welt zu. Hinter dieser abstrakten Zahl, die vermutlich nur Klimatolog*innen wirklich emotional verstehen, verbirgt sich eine unfassbare Menge an menschlichem und ökologischem Leid.

Es geht hier um Naturkatastrophen, um rasant zunehmende Wahrscheinlichkeiten von Fluten und Überschwemmungen, Bränden, Dürreperioden, Ernteausfällen. Um kippende Kippunkte wie das schmelzende Grönlandeisschild, Prozesse, die wir nicht mehr aufhalten können, wenn sie einmal in Gang gesetzt wurden. Es geht um Hungersnöte und sich zuspitzenden Konflikten um immer begrenzter werdende Wasservorkommen. Um bewaffneten Konflikten um Ressourcen. Darum, dass signifikante Teile unserer Erde unbewohnbar werden. Je nachdem, auf welche Studie man sich stützt, könnten das bis 2070 19% der Landmasse sein. Das würde bedeuten, dass Milliarden von Menschen ihre Heimat verlieren werden. Fliehen müssen vor den Folgen der Klimakrise.

Die Klimakrise ist nicht nur eine ökologische Krise, sondern vor allem auch eine soziale Krise und nicht zuletzt eine Krise der Menschenrechte. Verteilungsungleichgewichte, Menschen, die ihre Heimat verlieren, Gewalt in Kriegen und Konflikten um Ressourcen, all das erwartet uns in einer Welt, in der wir nicht versuchen, die Klimakrise abzuschwächen. Wir, meine Generation und vor allem alle zukünftigen Generationen werden davon betroffen sein. Aber Menschen werden eben auch, je nachdem wie privilegiert sie sind und wo sie leben in unterschiedlichem Maß von den Folgen der Klimakrise betroffen sein.

Das können wir hier in Deutschland sehen, gesunde Menschen kommen mit vermehrten Hitzetagen besser klar als alte und kranke Menschen beispielsweise. Menschen mit hohem Einkommen können sich in klimatisierte Wohnungen zurückziehen, andere nicht.

Das können wir aber vor allem auch global sehen. Deutschland ist eines der privilegiertesten Länder der Welt. Wir emittieren 2% der der weltweiten Emissionen und liegen somit auf Platz 4 weltweit. Wir sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass Menschen im Globalen Süden jetzt bereits unverhältnismäßig stark an den Folgen der Klimakrise leiden, obwohl sie viel weniger emittieren.

In einem offenen Brief wandten sich über 60 Professor*innen und Professoren des Verfassungs- und Völkerrechts an unsere Regierung. Ich zitiere: „Die Bundesregierung muss sich an die Verfassung halten. Und ein verbesserter Klimaschutz ist Vorgabe der Verfassung. Vor diesem Hintergrund fordern wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Verfassungs- und Völkerrechts die gesetzgebenden Organe des Bundes auf, das Klimaschutzgesetz nicht abzuschwächen. Wir fordern die Bundesregierung auf, ein effektives Klimaschutzprogramm mit ausreichenden Maßnahmen zur Einhaltung der Klimaschutzziele und damit der völker- und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen zu beschließen.“

Der Brief schließt sich an das als Klimabeschluss bekannte Urteil vom 24. März 2021 des Bundesverfassungsgerichtes an, in dem klargestellt wird, was Artikel 20a des GG bedeutet und wozu er verpflichtet:

„Das Grundgesetz verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen. Subjektivrechtlich schützen die Grundrechte als intertemporale Freiheitssicherung vor einer einseitigen Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft. Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.

Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erfordert dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln.“

(siehe: BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 -).

Erst am 22.08.2023 hat der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung erneut bescheinigt, dass die Klimaschutzmaßnahmen zwar in die richtige Richtung gehen, aber bei weitem noch immer nicht ausreichen und zudem die Umsetzung nicht garantiert ist. Das bisherige Klimaschutzkonzept weise große Lücken und kein Gesamtkonzept auf. Zudem werde nicht deutlich, wie die restliche Lücke geschlossen werden solle. Die Lücke werde vermutlich auch bei vollständiger Umsetzung der geplanten Maßnahmen größer sein, als von der Regierung angegeben. Auch sonst gebe es in dem Programm „erhebliche Unschärfen und Unsicherheiten“, heißt es in der Stellungnahme. „Die erwartete Gesamtminderung wird daher vermutlich überschätzt.“ (vgl. https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/expertenrat-klima-ampel-regierung-100.html)

Meldungen wie diese lassen mich immer wieder verzweifeln an unserer Bundesregierung. An den Menschen, die durch einen demokratischen Prozess Verantwortung erhalten haben für uns alle. Diese Menschen haben einen Eid geschworen, unsere Verfassung einzuhalten und Leid von uns allen als Bevölkerung abzuwenden. Aber anstatt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts konsequent umzusetzen, werden die im Klimaschutzgesetz verankerten Sektorengrenzen und -ziele aufgeweicht. Besonders der Verkehrssektor verfehlt seine Ziele in einem unbegreiflichen Ausmaß. Und niemanden stört das. Was ist nur los hier frage ich mich dann? Es werden Vorgaben von Verfassungsrang aufgestellt und tagtäglich gebrochen. Und tagtäglich ist die Klimakrise präsent in den Nachrichtenmeldungen, die uns ereilen. Vor 2 Jahren forderte die Flut im Ahrtal 180 Tote. Die Flutkatastrophe in Libyen im September diesen Jahres kostete 11.000 Menschen das Leben. (ttps://www.tagesschau.de/ausland/afrika/libyen-flut-tote-100.html)

Und dann ist da noch der Zeitfaktor. Es ist eben nicht egal, ob wir bestimmte Maßnahmen jetzt einleiten und 2030 Ziele erreichen oder ob wir 2030 damit anfangen und dann irgendwann später damit fertig sind. Wir haben ein begrenztes THG-Budget und jedes zusätzliche Molekül heizt unsere Atmosphäre weiter auf. Wir müssen JETZT handeln, um die Klimaerwärmung zu begrenzen. Wir müssen JETZT handeln, um nicht zu riskieren, dass die kritische Menge an C02 in der Atmosphäre überschritten wird, die einen Kipppunkt im Klimasystem auslöst – unpraktischerweise wissen wir nämlich gar nicht genau, um was für eine Menge es sich da exakt handelt, wir sollten also extra vorsichtig sein.

Nicht nur, wenn man sich damit tagein tagaus in Vorlesungen und Seminaren beschäftigt, denke ich, dass klar wird, dass hier etwas passieren muss. Meine Versuche, etwas zu verändern, haben ganz klein angefangen, als ich noch viel weniger wusste über Treibhausgase und schmelzende Gletscher und Menschen, die durch Naturkatastrophen sterben. Damals, in Augsburg mit 14 oder 15 habe ich angefangen, meine Kleidung Second Hand zu kaufen und bin gerne mal in den Bioladen gegangen, wenn ich Taschengeld übrig hatte. Das erste Mal auf der Straße für Klimaschutz war ich 2019 mit Fridays for Future und habe, obwohl ich mich für mein Abi vorbereiten musste an jeder Demo teilgenommen, weil ich gespürt habe, dass viele Menschen zusammen wirklich etwas verändern können.

Es ist viel in meiner aktivistischen Biographie und gleichzeitig so wenig passiert in der Politik seitdem. Viel Zeit ist vergangen mit endlosen Infoständen, Petitionen, Organisation von Demos, Themenabenden mit Students for Future, Podiumsdiskussionen und Leseabende mit dem Klimacamp, und so weiter und sofort. Diesen Formen des klimaaktivtischen Engagement schenke ich nach wie vor viel Zeit. Heute zum Beispiel startet die Publice Climate School, eine Themenwoche mit vielen spannenden Vorträgen und Events rund um Klimaschutz- und Klimagerechtigkeit . Aber ich habe eben auch gemerkt, dass sich nach wie vor viel zu wenig tut, wie viele Steine in den Weg von Veränderung gelegt werden. Ich kann nicht still sitzen und jeden Tag das Weiter-So und die wachsende Ungerechtigkeit ihren Gang gehen lassen. Ich muss etwas tun und ich muss ein Protestmittel wählen, das nicht schon ausgeschöpft ist. Und so bin ich zur Letzten Generation gekommen.

Die letzte Generation ist kein Zusammentreffen von unkoordinierten, impulsiven Einzelaktionen. Sie stützt sich auf sozialwissenschaftliche Studien und Erkenntnisse aus der Protestforschung und der Forschung zu sozialen Bewegungen. Es gibt zahlreiche Beispiele aus der Geschichte, die zeigen, dass Ziviler Ungehorsam, das bewusste aber friedliche Verstoßen gegen das geltende Gesetz, funktioniert. Viele wichtige Veränderungen in der Geschichte wurden nur erreicht, weil Menschen protestierten, aufgestanden sind und auf bestehendes Unrecht hingewiesen haben. Ohne ZU und das Civil Rights Movement gäbe es keine Bürger*innennrechte für PoC. Es gäbe bedeutend weniger Arbeitnehmer*innenrechte Ohne ZU dürfte ich heute nicht wählen und würde mich vermutlich noch ohnmächtiger fühlen in angesichts des politischen Versagens, als ich es eh schon tue. Wir nehmen gerade Teil an einem Gerichtsprozess gegen Menschen im friedlichen zivilen Widerstand, der stattfindet in einem Land, das selbst maßgeblich geprägt wurde durch eine Bewegung des ZU, die ein geteiltes Land wieder vereint hat.

Die Klimakrise, die Vernichtung unserer Lebensgrundlagen und tausende Tote jährlich sind anscheinend nach wie vor nicht relevant genug, um ganz selbstverständlich als einer der obersten Punkte auf der politischen Agenda unserer Bundesregierung zu stehen. Der Protest der Letzten Generation richtet sich nicht gegen die Autofahrenden direkt vor uns. Dieser Protest richtet sich gegen die Bundesregierung, die tagtäglich unsere Verfassung bricht. Es geht mir in diesem friedlichen zivilen Widerstand darum, das Weiter-So für eine kurze Zeit zu unterbrechen. Die Klimakrise in den Alltag zu tragen, indem dieser gestört wird. Immer wieder daran zu erinnern welche Menschen sich freiwillig dazu entschieden zu haben, Verantwortung in diesem Land zu übernehmen und wie weit sie davon weg sind, dies zu tun. 

Dabei sind wir in unserem Protest immer friedlich und gewaltfrei. Wir möchten Leben retten und keine Leben gefährden. Deshalb achten wir immer auf die Bildung einer Rettungsgasse und halten Autofahrende zu deren Bildung an. Ausgehend von der Rettungsgasse ordnen sich die Menschen, die sich zum Festkleben entschlossen haben und jene, die in der Rettungsgasse sitzen, um aufstehen zu können, sobald wir Sirenen eines RTWs hören oder ein Mensch auf uns zukommt, der aus medizinischen Gründen durchmuss, an.

Ich habe auch Zweifel. Ich hinterfrage mich und mein Tun ständig, andauernd. Ich finde nicht, dass eine Straßenblockade die perfekte Protestform ist. Es fällt mir unfassbar schwer, die Zivilbevölkerung in ihrem Alltag zu stören. Solange die Politik nicht endlich ihrer Verantwortung nachkommt, sehe ich mich in der Verantwortung, etwas zu tun. Und das macht mich teilweise unfassbar wütend. Denn es ist keine Verantwortung, die ich gerne trage. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir alle diese Aufgabe übernehmen müssen, solange es unsere Bundesregierung nicht tut. Und auch die Gerichte spielen hier eine entscheidende Rolle.

In dem bereits erwähnten offenen Brief der Verfassungsrichter*innen betonen die Unterzeichnenden auch, dass insbesondere Forderungen nach einer Verschärfung straf- und polizeirechtlicher Reaktionen beunruhigend seien und in vielen Fällen verfassungsrechtlich fragwürdig, denn das Versammlungsrecht schütze auch Protestformen, die disruptiv wirken und von der Mehrheit als Störung empfunden werden. Vor allem aber lenkten diese Debatten von den dringend nötigen Auseinandersetzungen über die konkrete Umsetzung der verfassungs- und völkerrechtlichen Klimaschutzpflichten und dem möglichen Verfassungsbruch der Ampel-Koalition unter Führung von Bundeskanzler Olaf Scholz ab.

Deshalb ist meine Bitte an Sie heute, dies nicht zu tun. Lassen Sie uns nicht verlieren, im endlosen Verlesen von Autokennzeichen und zu welcher Minute wann genau welche Fahrbahn wieder frei war. Lassen Sie uns nicht ablenken von dem eigentlichen, vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Verfassungsbruch, um den es gehen sollte. Auch bei Ihnen liegt als Vertreter*innen der Judikative Verantwortung, sie haben die Möglichkeit ein Zeichen zu setzen und sich zu positionieren.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

„Wie kann ich meinen Geschwistern die Welt erklären?“ – Einlassung einer Aktivistin vor dem Amtsgericht Tiergarten.

Ich möchte mich gerne zu all den Vorwürfen äußern und zusätzlich etwas Kontext zu meinem allgemeinen Engagement und meiner Person geben.

Ich habe 2 jüngere Geschwister im Alter von 17 und 20 Jahren, für die ich immer diejenige war, die beschützt und den Weg weist, die pragmatisch denkt und Vorschläge macht, Risiken abwiegt und zu einer sicheren Lösung findet. Mein Abitur habe ich auf einer integrierten Gesamtschule gemacht. Dort bin ich aufgewachsen in einem Kontext, der zur Emanzipation und Beteiligung ab sehr jungem Alter (wobei die Stimmen der Jüngsten genauso viel Wert hatten, wie die der Ältesten) angeregt und motiviert hat, sowie einer Arbeitsweise, in der die Stärkeren/Schnelleren den Langsameren/Schwächeren helfen.

Ich weiß mittlerweile, und wusste es wahrscheinlich eigentlich auch schon damals, dass unsere tatsächliche Welt, die Realität des Alltags, leider nicht nach diesen Prinzipien organisiert ist/funktioniert.Die Welt in der ich anschließend mein Studium angefangen hatte, erschloss sich mir immer klarer & deutlicher in den letzten Jahren.Diese Welt, in der ich und wir alle jeden Tag aufwachen und mit der wir uns auseinandersetzen müssen (ob wir wollen oder nicht), ist eine Welt, die den Jüngsten keine Stimme gibt innerhalb ihres vorgesehenen, indirekten, parlamentarischen Systems. Es ist eine Welt, in der die Stimmen derjenigen den Ton angeben, die noch die geringste Zeitspanne auf einer sich bedrohlich immer weiter erhitzenden Erde verbringen müssen. Es sind die Entscheidungen hauptsächlich älterer, größtenteils weißer, Männer, aufgewachsenen in einem Zeitalter, das tatsächlich noch Hoffnung in kapitalistisches Wachstum legen konnte, aufgrund verschobener Illusionen.

Das ist eigentlich keine Welt, in der ich leben möchte. Und auch keine Welt, die ich meinen kleinen Geschwistern erklären müssen möchte. Aber das ist die Welt, in der ich heute zum ersten Mal angeklagt vor Gericht stehe. Eine Welt, in der gute Freund:innen von mir jetzt gerade für 30 Tage in Präventivhaft in München sitzen aufgrund ihrer spontanen, friedlichen Versammlungen. Eine Welt, die störende Menschen lieber wegsperrt, anstatt sich mit den Ursachen und Gründen ihres Protestes, sowie ihren Wünschen, Vorschlägen und Motivationen, auseinanderzusetzen und die Inhalte anzugehen.

Mein Studium habe ich mittlerweile abgeschlossen. Die letzten zwei Jahre habe ich mich intensiv mit Theorien gesellschaftlicher Veränderung & der Rolle von Protest auseinandergesetzt. Meine Bachelorarbeit hat den Titel „Women in Civil Resistance: Young, Female Spokespeople in the German Movement “Letzte Generation”.

Ich bin also nicht aus Versehen bei der Letzten Generation gelandet. Ich bin bei der Letzten Generation gelandet, da ich nicht weiter still sein kann im Angesicht der Ungerechtigkeit, die jeden Tag weiter steigt. Weil ich Mittel nutzen möchte, die in unserer Geschichte der Bundesrepublik schon mehrfach erfolgreich zu Veränderungen geführt haben. Weil alle anderen Mittel erfolglos ausgeschöpft sind. Weil ich trotzdem noch Hoffnung darauf habe, dass wir nicht allen Kippunkten mut- und tatenlos einfach beim Kippen zuschauen. Inzwischen unterstütze ich hauptsächlich andere Menschen im Angesicht von Repression, während ich ein zweites Bachelorstudium anfange.

Bei der Letzten Generation war ich schon an mehreren Protesten beteiligt. Bei Protesten führte ich Gespräche mit Autofahrenden oder Passant:innen und mit der Presse, um die Inhalte unserer Proteste zu erklären bzw Teil des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses zu sein. Das gesamte letzte Jahr über war ich als selbstständige Schauspielerin an der Theaterproduktion „Recht auf Jugend“ von Volker Lösch am Schauspielhaus Bonn beteiligt. Ich habe aktiv am Skript mitgeschrieben. Dafür haben wir den gesamten historisch-theoretischen Hintergrund, die praktische Realität des Protestes auf der Straße, sowie unsere emotionale Innenwelt offengelegt und auf der künstlerischen Ebene unseren Protest beschrieben. Und nun beschreibe ich ihn hier auf einer juristischen Ebene.

Das alles ist manchmal ganz schön traurig und unfassbar anstrengend. Aber dass Strafrecht für davon Betroffene keinen Spaß macht, muss ich ihnen vielleicht nicht erklären. Oder vielleicht doch, da ich nicht weiß, ob sie sich wirklich vorstellen können, wie es ist, auf der Anklagebank zu sitzen und für seine gemeinwohlorientierten Überzeugungen kriminalisiert zu werden. Mit einem Menschen in schwarzer Robe vor sich, der über die eigene Existenz entscheiden kann. Mit einem Menschen schräg gegenüber, der aus dicken Akten vorliest, lange Aktenzeichen und Autokennzeichen zitiert und argumentiert, dass man Gewalt den Autofahrenden gegenüber ausgeübt hätte, obwohl die eigenen Überzeugungen Gewaltlosigkeit ganz voran stellen. Weil man bei Grün auf den Fugänger:innenüberweg getreten ist, stehen geblieben ist, sich dann eine Warnweste übergezogen hat, Banner mit den Wünschen & Forderungen ausgerollt hat und sich hingesetzt hat und für Gespräche mit den Menschen in den Autos auf diese Art sehr direkt angeboten hat.

Verfassungsbruch

Im letzten Jahr habe mich auch weiter viel mit der aktuellen Politik, dem Regierungskurs und ihrer Verfassungskonformität auseinandergesetzt. Ich könnte meine Gedanken nicht besser zusammenfassen, als die über 60 Professorinnen und Professoren des Verfassungs- und Völkerrechts, unter anderem Prof. Markus Krajewksi – Professor in Erlangen sowie Vorsitzender des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Menschenrechte und Generalsekretär der Deutschen Vereinigung für Internationales Recht, die vor circa zwei Wochen einen öffentlichen Brief an die Regierung gerichtet haben (siehe unter: https://verfassungsblog.de/fur-eine-volker-und-verfassungsrechtskonforme-klimaschutzpolitik/). Ich zitiere: „Die Bundesregierung muss sich an die Verfassung halten. Und ein verbesserter Klimaschutz ist Vorgabe der Verfassung.“

Des Weiteren betonen die Unterzeichnenden, dass insbesondere Forderungen nach einer Verschärfung straf- und polizeirechtlicher Reaktionen beunruhigend seien und in vielen Fällen verfassungsrechtlich fragwürdig, denn das Versammlungsrecht schütze auch Protestformen, die disruptiv wirken und von der Mehrheit als Störung empfunden werden. Vor allem aber lenkten diese Debatten von den dringend nötigen Auseinandersetzungen über die konkrete Umsetzung der verfassungs- und völkerrechtlichen Klimaschutzpflichten und dem möglichen Verfassungsbruch der Ampel-Koalition unter Führung von Bundeskanzler Olaf Scholz ab. Sie schließen ihren Brief mit folgenden Worten: „Vor diesem Hintergrund fordern wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Verfassungs- und Völkerrechts die gesetzgebenden Organe des Bundes auf, das Klimaschutzgesetz nicht abzuschwächen. Wir fordern die Bundesregierung auf, ein effektives Klimaschutzprogramm mit ausreichenden Maßnahmen zur Einhaltung der Klimaschutzziele und damit der völker- und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen zu beschließen.“

Der vollständige öffentliche Aufruf liegt meiner gedruckten Version der Einlassung als Anlage bei und wird anschließend zu Protokoll gegeben.

Dieser Brief baut auf dem als Klimabeschluss bekannten Urteil vom 24. März 2021 vom Bundesverfassungsgericht auf. Dort präzisierte das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung von und die Verpflichtungen aus Art. 20a GG und stellte unmissverständlich klar:

„Das Grundgesetz verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen. Subjektivrechtlich schützen die Grundrechte als intertemporale Freiheitssicherung vor einer einseitigen Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft. Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten. Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erfordert dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln.“

(siehe: BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 -).

Dieser Beschluss wurde von der Deutschen Umwelthilfe als „die wohl bedeutendste Umweltschutz-Entscheidung in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts“ gelobt. Wenn ich allerdings mit dem Abstand von zwei Jahren auf die Entscheidung und ihre (Nicht-)Folgen schaue, muss ich sagen, dass ich milde gesagt, ernüchtert bin. Das Problem, wie wir effektiven Klima- bzw. Menschenschutz umsetzen wollen, ist noch immer nicht ernsthaft von der Politik, aber auch nicht von den Verwaltungsgerichten oder selbst dem Bundesverfassungsgericht angegangen worden. Der Beschluss sah voraus, dass die Regierung bereichsspezifische Maßnahmen für einzelne Sektoren vorlegen und auch umsetzen muss – die Sofortprogramme. In seinem Zweijahresgutachten vom November 2022 wies der Expertenrat der Bundesregierung darauf hin, dass die bisherigen Emissions-Reduktionsraten komplett unzureichend sind, um die Klimaschutzziele für 2030 zu erreichen – das ist übrigens bereits in sieben Jahren.

Erst am 22.08.2023 hat der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung erneut bescheinigt, dass die Klimaschutzmaßnahmen zwar in die richtige Richtung gehen, aber bei weitem noch immer nicht ausreichen und zudem die Umsetzung nicht garantiert ist. Das bisherige Klimaschutzkonzept weise große Lücke und kein Gesamtkonzept auf. Zudem werde nicht deutlich, wie die restliche Lücke geschlossen werden solle. Die Lücke werde vermutlich auch bei vollständiger Umsetzung der geplanten Maßnahmen größer sein, als von der Regierung angegeben. Auch sonst gebe es in dem Programm „erhebliche Unschärfen und Unsicherheiten“, heißt es in der Stellungnahme. „Die erwartete Gesamtminderung wird daher vermutlich überschätzt.“ (vgl. https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/expertenrat-klima-ampel-regierung-100.html)

Statt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts konsequent umzusetzen, werden die Sektorengrenzen und -ziele aufgeweicht. Besonders der Verkehrssektor verfehlt seine Ziele in einem unbegreiflichen Ausmaß. Und niemanden störts. Das sind Momente, wo ich mich frage, was eigentlich mit uns los ist. Es werden Vorgaben von Verfassungsrang aufgestellt und tagtäglich gebrochen. Durch das verfassungsbrüchige Verhalten unserer Politiker:innen, durch die steigenden Emissionen auf der Straße, werden Menschenleben gefährdet und Existenzen vernichtet, schon heute und erst recht in der Zukunft, hier vor unserer Haustür, in ganz Europa und erst recht in den Ländern der sogenannten dritten Welt.

Auf der Straße, dem Ort der steigenden Unvernunft – des stetigen Wachstums und Brechens der verfassungsrechtlichen Vorgaben – das ist der Ort, an dem die Letzte Generation auf genau diese Ungerechtigkeit und das Nicht-Handeln im Angesicht der eskalierenden Klimakrise hinweist. Um die Regierung an ihre eigene Verfassung, an ihr eigenes Klimaschutzgesetz und ihre Verantwortung gegenüber uns allen, insbesondere der jungen und den nachfolgenden Generationen, zu erinnern und Mitbürger:innen Handlungsalternativen und ihre eigene Wirkungsmacht aufzuzeigen.

Adressat:innen des Protestes

Dieser Protest richtet sich dementsprechend an alle, insbesondere all jene, die durch ihr Verhalten und ihre Entscheidungen etwas verändern können und müssen. Das sind auch alle Autofahrenden und Konsument:innen, sowie Wähler:innen und zum anderen sind es Politiker:innen und Menschen, die jetzt in diesem Moment an Hebeln sitzen und uns alle endlich in eine andere Richtung steuern können. Leider ist das Thema Klimakrise, das Thema Vernichtung unserer Lebensgrundlagen, all die tausende Tode, die Menschen jetzt schon täglich sterben, anscheinend nicht relevant genug, um einfach so, ohne eine Lobby, wenn man so will, als oberster Prio-punkt auf der Agenda der Bundesregierung, auf der Agenda der Tagesthemen und zumindest auf der Agenda lokal und persönlich von uns allen steht.

Die Klimakrise zeigt sich zwar auch mehr & mehr in unserem Alltag hier in Deutschland – Stichwort Überschwemmungen (besonders katastrophal vor zwei Jahren im Ahrtal), Hitzewellen, Waldbrände, Extremwetterereignisse, Grundwasserknappheit, Ernteverluste -, aber dennoch bedarf es leider einer Störung unseres so gut geschützten Alltags, um uns mit dem zu konfrontieren, was wir viel zu lange ignoriert haben. Mit der Frage, was wir tun, wenn unsere Regierung es momentan nicht auf die Kette bekommt, sich ernsthaft um den Schutz von unser aller Leben, um den Schutz von gerade heranwachsenden Generationen und der Sicherung von deren zukünftigen Lebensgrundlagen und Freiheitsrechten zu kümmern.

Es geht mir in meinem zivilen Widerstand und meinen den Alltag kurzzeitig unterbrechenden Protesten darum, die Lücken und die Fragilität innerhalb unseres sonnigen Alltags aufzuzeigen. Aufzuzeigen, dass wir nicht weiter unbegrenzt auf den Straßen ohne Tempolimit dahinbrausen können. Aufzuzeigen, dass wir nicht unendlich auf fossile Energieträger setzen können und damit wohlwissend in einen Abgrund rasen, mit jedem Gramm abgebauter Kohle und jedem Milliliter abgepumpten Öls. Aufzuzeigen, dass wir miteinander ins Gespräch kommen müssen und gleichzeitig Druck auf die Regierung aufbauen müssen. Denn das sind die Menschen, die sich bewusst für Entscheidungsverantwortung entschieden haben und einen Eid geschworen haben, unsere Verfassung einzuhalten und Leid von uns allen als Bevölkerung abzuwenden.

Das ist der Grund, wieso Menschen sich auf Straßen setzen und für ein Tempolimit und den Ausbaustopp von fossilen Energieträgern protestieren. Genauso ist dies der Grund dafür, dass Menschen vor Profiteur:innen der Krise protestieren, darauf aufmerksam machen, informieren, und die Alltagsunterbrechung, das Aufhorchen der Menschen dafür nutzen, um Fakten und die schockierende Realität klar und unverhüllt in den öffentlichen Raum zu stellen. Das ist der Grund, wieso Regeln gebrochen werden. Die Regel sagt: Auf einer Straße darf nur gefahren werden. Die Straße gehört den Autos und den LKWs. Diese Regel wird gebrochen, wenn Menschen auf einem Fußgänger:innenüberweg stehen bleiben und sich hinsetzen. Plötzlich passieren da ganz andere, unvorhergesehene Dinge auf der Straße, eröffnet einen Stillstand, eine Schwebe, und Raum für Diskussion, Austausch, Veränderung. Ein Regelbruch ist aber nicht automatisch mit einem Gesetzesbruch gleichzusetzen.

Ich möchte nun auf die konkreten Tage und Vorwürfe eingehen, die in mehreren gelben Briefen bei mir in der Post gelandet sind. Ich werde auf die jeweiligen Tage und Vorgänge, sowie meine Motivation und Beweggründe eingehen und hoffe, dass ich hiermit ein paar Dinge klarstellen kann. [Ausführungen zum Geschehen]

In meinen Protesten habe ich mich mit unterschiedlichsten Einzelthemen beschäftigt, die alle eng verknüpft sind mit den letzten, wenigen Momenten, die wir alle noch haben, um ins Handeln zu kommen.

Die Bandbreite der Protestinhalte der Letzten Generation zeigt auf, dass wir es hier nicht mit einem einfachen, direkt zu lösenden Problem zu tun haben. Keine einzelne Person kann morgen oder heute die Welt retten. Es sind kleinere und einfache Dinge, wie ein Essen-Retten-Gesetz, und größere Änderungen, wie die Wende weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien, die uns auf einen Weg bringen können, der tatsächlich die Lebensgrundlagen jetziger und zukünftiger Generation noch schützen kann.

„Es ist Sommer und ich esse eine Pflaume am Wegesrand“ – Einlassung eines Dresdener Aktivisten.

Es ist Sommer. Ich stehe während einer Radtour am Straßenrand und esse Pflaumen vom Wegesrand. Es ist ein schöner, gemäßigter Sommertag und ich denke mir, man, geht es uns gut hier auf diesem Paradies Erde. Wir haben fantastische natürliche Bedingungen und mit ein bisschen Initialaufwand beliefert uns die Natur mit allem, was wir zum Leben brauchen. Unser Essen wächst auf dem Feld, unser Wasser fällt vom Himmel … wir können auf jede Menge Ökosystemdienstleistungen quasi kostenlos zurückgreifen. Man könnte fast meinen, diese Erde ist wie für uns Menschen geschaffen. Aber so richtig glücklich bin ich trotzdem nicht. Ich mache mir Sorgen, denn genau dieses Paradies ist in Gefahr.

Heute muss ich mich vor Gericht verantworten, da ich mich an einem friedlichen Protest hier in Dresden beteiligt habe. Dazu würde ich gerne etwas sagen. Zuerst möchte ich auch den Hintergrund und die Beweggründe meines Engagements eingehen. Anschließend werde ich zu der konkreten Situation vor Ort etwas sagen. Ich lade Sie, verehrtes Gericht, sowie Sie, sehr geehrte Staatsanwaltschaft, und alle weiteren Anwesenden ein, sich auf meine Worte einzulassen, denn ich denke nicht, dass diese schwer nachzuvollziehen sind.

Ich habe die Geburten-Lotterie gewonnen, wohne in einem der wohlhabendsten Länder der Welt, bin 28 Jahre jung, gut ausgebildet und die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt sind fantastisch. Und ich lebe in einer offenen Gesellschaft, Meinungs- und Reisefreiheit, Rechtsstaat, Demokratie, kostenlose Bildung und so weiter, kurz es geht mir verdammt gut!

Eigentlich muss ich mir keine Sorgen um die Zukunft machen. Wir haben es als Menschheit weit gebracht. Durch technischen Fortschritt und gesellschaftliche Errungenschaften unserer Vorfahren geht es uns Menschen auf dieser schönen Erde so gut wie noch nie.

Und ich mache mir trotzdem oder gerade deshalb extreme Sorgen um unsere Zukunft. Der Grund ist, Sie können es sich wahrscheinlich denken – die Klimakatastrophe.

Die Freude an der Natur habe ich, denke ich, von meiner Oma und ihrer Mutter, meiner Uroma, mitbekommen. Für sie war auch in schweren Kriegs- und Nachkriegszeiten sicher, an der Natur können sie sich, sind die wirtschaftlichen und gesellschaftliche Bedingungen noch so schlecht, immer erfreuen. Aber genau dieses Vertrauen kann meine Generation nicht mehr haben.

Die Auswirkungen unseres Wirtschaftens setzen unseren Planeten und damit unsere Lebensgrundlage überall extrem unter Druck. Und gefährdet damit unseren oben beschrieben zivilisatorischen Wohlstand.

Durch die Klimakrise verursachte Dürren, führen schon heute zu Hungersnöten. Uns hier in reichen Norden, der diese Katastrophe zum aller größten Teil verursacht hat, trifft es noch vergleichsweise harmlos. Aber auch hier, spüren Leute gestiegene Gemüsepreise durch Wasserknappheit in Spanien, hohe Strompreise weile in Frankreich die Flüsse so wenig Wasser führen, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden müssen. In Südfrankreich gab es die ersten gewaltsamen Konflikte um Wasser. Steigende Preise und die Flüchtlingskrise führen jetzt schon zu großer Unzufriedenheit in unserer Gesellschaft und damit zu einem Rechtsruck, der sogar unsere Demokratie gefährdet.

Laut Klimaforschern steuern wir auf eine bis zu 3 Grad heißere Welt zu. In einer solchen Welt können 1/3 der Menschen nicht mehr dort leben, wo sie heute leben. Die Folge sind unvorstellbare Fluchtbewegungen und Verteilungskämpfe.

Was denken Sie was dann mit unserer offenen und freien Gesellschaft, Menschenrechten, unserer Demokratie, unserem Rechtsstaat passiert, wenn schon die aktuellen Krisen das alles so herausfordern?

Ronald Gerste beschreibt in seinem Buch: „Wie das Wetter Geschichte macht.“ mit vielen Beispielen unterlegt, wie stark die Entwicklung von Zivilisationen vom aktuellen Wetter und klimatischen Bedingungen abhängt. Auf ungünstige Wetterverhältnisse oder klimatische Veränderungen, folgte meistens Hungersnot, Pandemie und am Ende Krieg.

2 Tage vor der Protestaktion, wegen der ich mich jetzt hier vor Gericht verantworten muss, veröffentlicht der Weltklimarat seinen 6. Sachstandsbericht. Darin heißt es wörtlich:

„Das Tempo und der Umfang der bisherigen Maßnahmen sowie die aktuellen Pläne sind unzureichend, um den Klimawandel zu bekämpfen.“ … weiter: „tiefgreifende, rasche & nachhaltige Verringerungen der Treibhausgasemissionen in allen Sektoren“ sind erforderlich.“

Antonio Gutterres, der General Sekretär der UN, sagt dazu: „Die Klimazeitbombe tickt!“

Kurz, wir rasen auf eine unaufhaltsame Katastrophe zu und unsere Regierung hält sich nicht an den Paragraphen 20A unseres Grundgesetzes. Unsere Lebensgrundlagen werden mit den aktuellen strukturellen Rahmenbedingungen nicht ausreichend geschützt.

Genau deswegen trug ich letztes Jahr meinen Protest gegen diese fahrlässige Handlung der Regierung unignorierbar und friedlich auf die Straße.

Doch wie kam es dazu?

Die Klimakrise beschäftigt mich schon lange. FridaysForFuture brachte das Thema mit ihren Schulstreiks und dem damit verbunden Aufschrei in die breite Öffentlichkeit. Sie mobilisierten 2019 mit ihren Demos deutlich über 1 Millionen Menschen in Deutschland. Ich ging begeistert zu den Demos.

Das Bundesverfassungsgericht verurteilt die Klimapolitik 2021 als verfassungswidrig.

Im gleichen Jahr ist Bundestagswahl, Klima – im Wahlkampf überall. Keine demokratische Partei kommt drumherum sich demonstrativ hinter das 1,5 Grad-Ziel aus Paris zu stellen und Werbung für ihr Klimaschutzprogramm zumachen. Gewonnen hat der Klimakanzler.

Klimaschutz ist also in der breiten Masse angekommen, Mehrheiten dafür sind demokratisch sichtbar vorhanden.

Ich denke mir, sehr gut, es geht vorwärts.

Ich habe trotzdem das Gefühl, es geht zu langsam. Aber ich denke mir, naja, es ist ein extrem komplexer gesellschaftlicher Wandel, das braucht Zeit…

Dann immer deutlichere Nachrichten und Warnungen zu den Klima-Kipppunkten. Es reicht nicht, wenn wir irgendwann Klimaneutral werden, wenn wir bestimmte Kipppunkte überschritten haben, verselbstständigt sich das System, wir sind machtlos.

Was macht es mit mir? Unsicherheit, Angst – was passiert mit der schönen Welt, die ich so liebe, wenn wir es nicht schaffen? Wie viel Leid wir das Ganze verursachen?

Zusätzlich tauchen weitere Krisen auf und Überschatten die Klimaproblematik, das Thema verliert an politischer Relevanz, und das alles obwohl die Folgen und die damit verbunden Kosten immer sichtbarer werden.

Noch dazu verliert der Hoffnungsschimmer FridaysForFuture an Kraft. Auf den Demos treffe ich immer weniger Menschen. Die Krisen führen dazu, dass Menschen andere Problem haben als sich ums Klima zu kümmern. Ich (bin) machtlos …

Die üblichen geordneten Wege der Demokratie haben, nicht gereicht. Ich habe klassisch demonstriert, ich habe Briefe an Politiker geschickt und Petitionen unterschieben.

Mein eigenes Leben umstellen: auf Fliegen verzichten, Fleischkonsum und Ressourcenverbrauch reduzieren, ist schon lange passiert.

Aber die Wirkung ist sehr beschränkt. Durch individuellen Verzicht ist die Welt nicht zu retten. Die Klimakatastrophe können wir nur als Gesellschaft lösen. Doch der gesellschaftliche Wandel geht zu langsam, die Politik versagt.

Mein eigener Werdegang zeigt, sehr gut, dass die von der Politik gemachten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht zur Katastrophe passen. Ich habe Maschinenbau und Automatisierungstechnik und Robotik studiert. Nach dem Studium habe ich mir fröhlich und unbeschwert einen Job gesucht, und welch Wunder es trieb mich in die Automobilindustrie. Lohngefälle und Technik zeigen in eine eindeutige Richtung: es wird in unserer Gesellschaft als wichtiger betrachtet Autos mit Leuchtelementen zu verzieren, als sich um unsere Lebensgrundlagen zu kümmern. Der gut bezahlte und technisch spannende Job ist inzwischen gekündigt, aber der Prozess hat gezeigt wie viel Kraft es braucht die Sicherheit aufzugeben, den gesellschaftlich logischen Weg zu verlassen, „nur“ weil mir unsere Lebensgrundlagen wichtig sind.

Und solange es jedes Mal eine bewusste und gefühlt mit eigener Einschränkung verbundene Einzelentscheidung benötigt, nicht unsere Lebensgrundlagen zu gefährden, wird die Masse, die wir brauchen, nicht mitmachen.

Solange die Rahmenbedingungen nicht stimmen, werden wir es als Gesellschaft nicht schaffen so zu leben, dass wir die Klimakatastrophe in den Griff bekommen und unsere Lebensgrundlagen zu bewahren.

Aber wie ändert man diese strukturellen Rahmenbedingungen?

Selbst in die Politik gehen? Bis ich da was reiße ist zu viel CO2 in die Atmosphäre gewandert, Kipppunkte überschritten.

Und meine persönliche Eignung für Politik – unpassend.

Dann kommt die Letzte Generation um die Ecke. Kluge Leute haben in die Geschichte geschaut, und die Wissenschaft gefragt, wie gesellschaftlicher Wandel funktioniert. Ziviler Widerstand kann gesellschaftlichen Wandel beschleunigen.

Für mich: Hoffnung – hier kann ich was bewegen.

Gegenwind auf der Straße kann ich ertragen. Ich lebe im Gegenteil zum größten Teil der Weltbevölkerung in einem funktionierenden Rechtsstaat, in dem ich keine Angst haben muss, dass ich oder meine Familie dafür verschleppt oder umgebracht werden.

Ist es nicht sogar meine demokratische Pflicht meine Privilegien zu nutzen und mich dem zerstörerischen Kurs zu widersetzten?

Und so sind wir wieder am Tag der Straßenblockade:

6 Leute sitzen friedlich auf der Straße. Machen auf die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen aufmerksam, protestieren gegen den aktuellen Kurs der Regierung.

Aufmerksamkeit ist da. Es wimmelt von Presse, es stehen viele Passanten ringsherum.

Groß ist auch der Aufschrei. Wir Protestierende werden angefeindet, Passanten versuchen mehrfach mich grob von der Straße zu zerren. Es ist alles andere als angenehm.

Aber es löst auch Diskussionen über das Thema aus. Unter Passanten. Zwischen uns Protestierenden und Autofahrern. Eine Autofahrerin kommt wütend auf uns zu und schreit uns an: ob wir nichts Besseres zu tun haben und was wir denn arbeiten würden, – sie ist Unternehmerin. Ein Protestierender sagt, er ist Altenpfleger und hat heute frei. Sie schluckt und wird still. Es folgt eine sachliche Diskussion über die Klimakatastrophe und die Protestform. Am Ende ist sie natürlich nicht begeistert von dem was wir machen, aber geht sichtlich nachdenklich davon.

Und genau so funktioniert ziviler Widerstand. Er polarisiert, er rüttelt wach, er bringt das Problem unignorierbar auf die Tagesortung. Er ist zwar unangenehm, genau wie die Probleme, um die es bei ihm geht. Es ist werde intuitiv noch direkt sichtbar, aber er ist wirksam.

Ja, bei dieser Form des Protestes werden Regeln gebrochen. Auf einer Straße fahren normalerweise Autos. Dort fließt der Verkehr und nichts hat ihn zu stören. Wir sind bei grün auf die Straße gegangen, haben uns hingesetzt und uns den Autofahrenden zum Gespräch angeboten. Wir haben Diskurs auf der Straße begonnen – dort wo er so dringend nötig ist. Mehr nicht.

Ein Regelbruch ist aber nicht gleichzusetzen mit einem Gesetzesbruch.

Und Samira Akarian, kommt in ihrer von der Körber Stiftung ausgezeichneten Doktorarbeit, zu dem Schluss, dass er einen positiven Effekt auf die Demokratie hat.

Es wurden Demokratien damit erkämpft und verteidigt. Und jetzt geht es um unsere Lebensgrundlage, von der auch unsere Demokratie und unser Rechtsstaat abhängen! Und wir haben keine Zeit!

 

„Ich bin kein typischer Aktivist“ – Einlassung eines Freiburger Vater und Aktivist.

Jetzt zu Beginn: Rahmen setzen und meine Motivation erklären. Denn: Ich bin kein „typischer Aktivist“, habe einen Angestellten-Job, 2 Töchter und Frau, hatte bis dato noch nie mit Polizei zu tun. Wie komme ich dazu, mich an zivilem Ungehorsam zu beteiligen? Das möchte ich kurz schildern.

Seit Jahrzehnten wissen wir über den Klimawandel Bescheid, seit Jahrzehnten finden die jedes Jahr die Klimakonferenzen statt („COPs“) – und seither steigen die weltweiten Emissionen weiter an.

  • 2015: „Paris Agreement“, als großer Erfolg gefeiert. Warum? 1,5°-Ziel. Warum 1,5°? Nicht beliebig! Weil damit die Kipppunkte wahrscheinlich verhindert werden können; danach nicht mehr sicher! Dann kippen Antarktis, Amazonas etc. wie Dominosteine, „hothouse earth“, Erde so heiß wie seit 30 Mio Jahren nicht! Dann krasse Ressourcenknappheit, Konflikte, Massensterben.
  • Wo stehen wir heute? 2023: 1,48° (Copernicus, EU). 2024: Vielleicht über 1,5°. Es ist schon kurz nach Zwölf. Wir haben keine Zeit mehr. – Das ist die Situation, in der wir uns befinden.

Zu mir (Essenz: Ich bring mich seit langem auf vielen Ebenen ein bzgl. Klima.)

  • 2000 1 Jahr als Freiwilliger bei einer NGO in Bangladesch: Erlebt, was Not und menschl. Leid bedeutet. Wenn du nachts vor Hitze nicht einschlafen kannst: Das ist beängstigend! Kontrollverlust. Das ist heute schon das Leben von Menschen. Und es wird täglich schlimmer. UND: Gefühle von Verantwortung: Uns geht es nur deshalb so gut, weil es andern schlecht geht. WIR haben eine Verantwortung!
  • Begegnung mit Frau dort in Bangladesch, deren größter Traum vom Haus aus Ziegelsteinen, erkannt: „Es liegt in unserer Hand (d. Menschen im Westen), ob diese Frau eine Zukunft hat (und die meisten anderen Menschen in Bangladesch).“
  • Nach Rückkehr Ingenieur studiert, um Solarenergie voranzubringen: „Das wird den Klimawandel schon lösen.“ – Seit 15 Jahren: Solarenergie-Beratung, in Ländern wir Bangladesch und Pakistan; „wir müssen das doch hinkriegen!“
  • Auch privat: Fahren (zum Leidwesen meiner Kinder!) mit Bus & Bahn zu Schwiegereltern nach Spanien; vegetarisch; eigener Garten, 2nd-Hand Kleidung. Sollte für den Wandel reichen. Tut es aber nicht.

Thema Krise lösen: Persönliche Ansätze und Notlage

  • Frage ist also: Solarenergie alleine reicht nicht. Privater Wandel reicht nicht. – „Was ist zu tun?! Was soll ich tun?!“
  • Mein Kontakt mit anderen Experten im Bereich Energie und Klima, lese Studien, Interviews: Auch die Wissenschaftler sind mehr und mehr verzweifelt, weil die Wissenschaft immer mehr Klarheit gewinnt, aber die Politik nicht umsetzt!
  • Warum kümmert sich die Regierung nicht?! – Habe ich immer als Basis, Rückendeckung gesehen im Job – jetzt Erkenntnis: Ist sie nicht! Sie torpediert das, was ich versuche zu erreichen! Einsicht Politik: „Die sind auch überfordert!“ …verkürzte Debatten vs. komplexe Welt, hängen von Lobby ab, von Wahlzyklen, Parteipolitik, sind auch Menschen und verdrängen …
  • Gesellschaft: eigtl wollen wir doch alle eine Zukunft! – Aber die Menschen verstecken sich vor der Krise, verdrängen sie, denken, sie können nichts ändern
  • Daher: Es braucht einen umfassenden Neuanfang! Und dafür braucht es erstmal Anstoß, mehr Bewusstheit und gesellschaftlichen Druck, damit die Politik und wir als Gesellschaft handeln.
  • „Ich muss jetzt mehr tun, für diesen Wandel einstehen.“ – Welches Mittel? Petitionen, Demos, Lobbyarbeit: – Alles zu langsam!
  • Aber: Ziviler Ungehorsam als historisch erfolgreich – Bürgerrechtsbewegung, Gandhi. Menschen wie Gandhi, King, Mandela: Viel riskiert, geltende Regeln gebrochen – aber letztlich das Ziel erreicht. Besondere Krisen brauchen besondere Mittel.
  • Alarm ist nötig: Damit Frauen wählen dürfen, zerschnitten die Suffragetten Gemälde. Damit Schwarze wählen dürfen, füllten die Bürgerrechtler die Gefängnisse und blockierten Straßen, Busse, Geschäfte. Unsere heutigen Demokratien und Rechtsstaatlichkeit wurden auch auf den Straßen mühsam erkämpft. Ziviler Ungehorsam kann also funktionieren.
  • Legitimität und Legalität in der Demokratie: Celikates. Recht ist nichts Sstarres, fertiges, ist kontinuierliche Entwicklung! Wir haben z.B. noch keine effektive Verankerung der Rechte der zukünftigen Generationen! – Daher auch bisherige Urteilssprechung LG: Alles von Freispruch bis Gefängnis! – Es ist ein Aushandlungsprozess unserer Gesellschaft, in dem wir uns befinden! – z.B. Strafrechtsprof & Richter am OLG FFM Matthias Jahn sieht harte Urteile kritisch: „Urteile, bei denen bspw. §240 StGB nicht im Lichte der Versammlungsfreiheit ausgelegt worden seien, widersprächen der ständigen Rechtsprechung des BVG“.
  • Demokratie ist dabei wichtiges Gut! Mir persönlich super-wichtig! Ziel der Letzten Generation ist funktionsfähige Demokratie! – Ich sehe den großen Wert von Demokratie und Rechtsstaat und will sie schützen, will, dass sie handlungsfähig bleiben und nicht im Klima-Chaos versinken!
  • Bauernproteste: Zeigt politische Absurdität: Bauernproteste werden genehmigt, von CDU und AfD umarmt – dabei geht es um Parktikularinteressen! LG wird verurteilt, beschimpft, bekämpft – und wir kämpfen um unser aller Zukunft! – Bamberg: Gleicher Ort bei Blockade LG: Schnellverfahren mit Haft! Landwirt:innen: Von Politik gelobt! – „Bauern waren genehmigt.“ – Aber warum?! Zeigt, dass jetzige Politik dem Problem Klimakrise nicht gewachsen ist.

All das habe ich reflektiert und deswegen zu dem Schluss gekommen: Ja, dieser Weg kann funktionieren. So habe ich in Freiburg Ende 2022 2x auf der Straße protestiert.

  • Zur Wirksamkeit der Proteste: Alarm ist nötig.Aber Straßenproteste sind nicht alles.Letzte Generation hat umfassende Strategie: Straßenblockade nur ein Teil; viel erreicht die letzten 2 Jahre; Sprechen auf Kirchentag, mit Politiker:innen, in Unternehmen; gesellschaftliche Debatte! Meine Rolle: v.a. Sprecher, Interviews, Podien, Rede beim Future Mobility Summit 2023 Berlin: Beifall, Gespräche, „Danke!“ der Zuhörer:innen
  • Für mich persönlich sind folgende Punkte essenziell wichtig bei den Protesten. Hätte es nicht gemacht, wenn diese Grenzennicht eingehalten werden. Regeln sind für mich wichtig und ich habe sie nur in diesem ganz bestimmten Kontext und mit diesem existenziellen Ziel übertreten.
    • Gewaltfrei in Tat+WortEinstehen mit meinem NamenRespektvoller Umgang mit Polizist:innen + Autofahrer:innen – es geht um die Autofahrer:innen; Vorleben einer aktiven & beteiligten Demokratie; Individualverkehr ist eines der wichtigsten Dinge, die sich ändern müssen!
    • Rettungsgasse etc.: Wir wollen stören und Aufmerksamkeit generieren, aber keinen echten Schaden anrichten – Mann mit Katheder durchgelassen! – Meine Rolle: Rettungsgasse, nicht geklebt, der erste der geräumt wurde.

Ohne diese Punkte wäre ich nicht dabei!

Zusammenfassung: Was mir wichtig ist.

  • Protestform sehr bewusst gestaltet: Gewaltfrei, bedacht, sodass kein Schaden entsteht
  • Ergänzt durch andere Tätigkeiten, Bewusstseinsschaffung, Kommunikation – 2023 war ichnicht mehr auf der Straße, sondern eben Vorträge, Interviews etc.
  • Besondere Lage berücksichtigen, in der wir uns befinden: Wir sind dabei, unsere Zivilisation zu beenden. Was ist unsere Verantwortung?
  • Geltendes Recht/Regeln sind immer ein Prozess; Legitimität vs. Legalität: Mangelnder Klimaschutz der jetzigen Regierung wird in 20, 30 Jahren als fataler Fehler gesehen werden! Und wird es auch jetzt schon.

Oft sind mutige Schritte nötig, um eine Weiterentwicklung unseres gesellschaftlichen Handelns zu ermöglichen – auf der Straße und in den Gerichtssälen. – SIE können heute ein Teil davon sein, indem Sie diesem Recht der zukünftigen Generationen einen hohen Stellenwert einräumen und uns freisprechen.


„Ich begreife mich als Teil dieser Gesellschaft“ – Letzte Worte einer Aktivistin.

Wir haben hier heute viel gehört, wir haben uns einen ganzen Vormittag lang zusammengefunden, haben uns mit der Klimakrise, aber vor allem sehr lange mit dem Hergang zweier Straßenblockaden beschäftigt.

Deswegen will ich noch einmal kurz den Bogen zurückspannen zum Anfang, dahin, worum es eigentlich gehen sollte.

Greenpeace schätzt, dass täglich ungefähr 130 bis 150 bedrohte Arten aussterben. 2022, in einem der heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, verzeichnet Europa 60 000 hitzebezogene Todesfälle. 2022 hungern weltweit 735 Millionen Menschen. Alle dreizehn Sekunden stirbt ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Hunger.

(https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/artenkrise/artensterben, https://www.welthungerhilfe.de/hunger,

https://www.tagesschau.de/wissen/hitzebezogene-tote-europa-100.html)

Ich begreife mich als Teil dieser Gesellschaft, als Teil dieser Demokratie. Und das bedeutet für mich eindeutig, dass ich etwas gegen bestehende Ungerechtigkeit und Leid tun muss. Dass ich mich angesprochen fühle, weil ich meine Zukunft mitgestalten möchte, die Zukunft meiner Mitmenschen und die zukünftiger Generationen. Ich gehöre zur letzten Generation, die im Angesicht sich schließender Zeitfenster, rapide schwindender C02-Budgets und bedrohlich wackelnder Kipppunkte noch die Möglichkeit hat, sich dem in einem relevanten Zeitraum entgegenzustellen. Ich fühle mich moralisch dazu verpflichtet, nicht einfach zuzuschauen und mein Leben weiterleben.

Wir alle spielen eine Rolle im entfalten sozial-ökologischer Transformation, insbesondere solange unsere Bundesregierung tagtäglich die Verfassung bricht mit ihrem Nicht-Handeln. Auch Sie, Frau Richterin Bucher, haben eine Verantwortung als Teil der Judikative. Sie haben heute die Möglichkeit, sich einem der bereits erwähnten Freisprüche anzuschließen und ein Zeichen zu setzen.

Luisa Neubauer schreibt in ihrem Buch „Gegen die Ohnmacht“, „Ohnmacht zu fühlen ist ein Privileg“. Damit meint sie, dass Menschen, die in direkter, akuter Weise mit der Klimakrise konfrontiert sind, weil zum Beispiel ihr Haus weggeschwemmt wurde oder die Hitze so unerträglich wird, dass der Alltag nicht mehr wie gewohnt gemeistert werden kann, es sich nicht leisten zu können, sich zu entscheiden, ob sie etwas gegen ihre Situation unternehmen wollen oder nicht. Sie sind gezwungen zu handeln. Wir in Deutschland sollten uns bewusst werden, dass wir dabei sind von diesem Ohnmachts-Privileg Gebrauch zu machen. Dass andere Menschen, insbesondere MAPA, also most affected people and areas, dieses Privileg nicht haben. Wir haben viel öfters noch die Möglichkeit, entscheiden zu können, ob wir uns mit den Folgen der Klimakrise auseinandersetzen wollen oder nicht, hinschauen oder wegschauen wollen. Aber auch für uns wird diese Möglichkeit rapide kleiner werden, früher oder später müssen wir Verantwortung übernehmen. Und ich finde – lasst es uns alle lieber früher tun.

Einlassung zur Aktion anlässlich EACOP und PreCOP 28

TotalEnergies and CNOOC are sensing big money in Uganda. The companies want to produce oil in the country and pump it all the way through savannahs, swamps and tropical forests to the Tanzanian coast. To make space for the wells and the pipeline, TotalEnergies and CNOOC are forcing more than 100,000 people off their lands. At the same time, the oil giants are destroying the homes of elephants, lions, leopards, and giraffes. [Quelle: https://gogel.org/tilenga-kingfisher-eacop]

Unser Protest am 15. Juni 2023 galt dem Vorhaben der Ölkonzerne TotalEnergies, Frankreich, und CNOOC, China, sowie der Ölgesellschaften Ugandas und Tansanias, Ölfelder in Uganda zu erschließen, in dem sie eine über 1.400 km lange Pipeline durch Naturreservate verlegen wollen. Während der Vorkonferenz zur Klimakonferenz im Dezember 2023 in Dubai versuchten Indigene und NGOs das Vorhaben zu kippen. Wohl erfolglos angesichts der starken Präsenz der fossilen Lobby bei der Vorkonferenz in Bonn, wie auch später während der COP 28 in Dubai. Ein paar Tage zuvor hat auch Greta Thunberg in Bonn zusammen mit Betroffenen zu dem Thema demonstriert.

In den letzten Jahren habe ich mir immer wieder Gedanken darüber gemacht, was unseren scheinbar unabwendbaren Kurs in die Katastrophe auf Grund der Erderhitzung noch stoppen könnte.
Was können wir als einfache Bürger*innen daran ändern?
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir sehr wohl noch etwas verändern können, wenn wir uns alle gegenseitig wachrütteln und Alarm schlagen. Das hat mich auf die Proteste der Letzten Generation aufmerksam gemacht und ich möchte im folgenden anhand der Beobachtung zweier Phänomäne darlegen, warum ich überzeugt bin, dass die Proteste der Letzten Generation zielgerichtet und wirksam sind und uns zusammen mit anderen Maßnahmen vielleicht noch retten können.
1.) Bei der ersten Beobachtung geht es um den sogenannten Zuschauereffekt, der 1968 von den US-amerikanischen Sozialpsychologen Latane und Darley in einem Experiment genauer untersucht wurde. Es handelt sich um das Phänomen, dass Menschen allgemein dazu neigen, in Notfällen untätig zuzuschauen, wenn auch andere Menschen den Notfall wahrnehmen aber nicht entsprechend reagieren. Nur 10 % der Versuchspersonen standen auf und unternahmen etwas, während 90 % ruhig sitzen blieben.
Übertragen auf die Situation, in der wir heute leben, könnte man sagen: Wir befinden uns in höchster Gefahr, bildlich gesprochen brennt unser Haus. Dringendes Handeln ist geboten. Doch es bleibt aus.
Was fehlt uns, dass wir den Ernst der Lage nicht erkennen und nicht entsprechend handeln?
2.) „There is no Glory in Prevention“, diesen Ausspruch habe ich vor einiger Zeit in einer Fernsehdokumentation über Pandemiebekämpfung gehört und das ist die zweite Beobachtung, über die ich sprechen möchte. Ein Pandemieforscher sagte in der Sendung, dass es für das Phänomen, dass Vorsorgemaßnahmen so unpopulär seien einen stehenden Begriff gebe. Übersetzt heißt er etwa: „Es liegt kein Ruhm in der Prävention“.

Dies könnte erklären, warum Klimaschutzmaßnahmen in der Politik nicht so populär sind. Sie bedeuteten einen großen Aufwand, erfordern viel Erklärungs- und Überzeugungsarbeit und können leicht Widerstände in der Bevölkerung hervorrufen, wie es beim Heizungsenergiegesetz oder dem Stopp der Subventionen für Agrar-Diesel der Fall war.
Der Erfolg von Vorsorgemaßnahmen lässt sich auch schwieriger beziffern, liegt doch deren Erfolg gerade darin, Veränderungen zum Schlechten zu verhindern. Wohingegen bereits eintretende Katastrophen sehr gut für die Popularität von Politikern ausgenutzt werden können und schon dem einen oder der anderen Politikerin eine Wahl geschenkt hat. Ein Spaziergang in Gummistiefeln durch das zerstörte Ahrtal, der bestimmt in bester Absicht und Anteilnahme geschah, bringt eben auch Sympathiepunkte. Dass die selben Politikerinnen sich der Klimavorsorge verweigern und schon immer verweigert haben, steht auf einem anderen Blatt und wird nicht thematisiert.
Wie können wir aus dem Zuschauereffekt herauskommen? Wie kann Vorsorge populär gemacht werden?
Wenn wir laut und eindringlich Alarm schlagen, wird klar, dass die Lage ernst ist und handeln geboten ist. Wenn wir das Thema und seine Dringlichkeit hochhalten und es zu einem echten Tagesgespräch wird, dann können wir die Politik darin stärken, Vorsorgemaßnahmen zu beschließen und die Akzeptanz in der Bevölkerung zu steigern, weil es ja auf ihren Wunsch hin geschieht.
Meiner Meinung nach war unser Protest in der Hinsicht wirksam und zielgerichtet und keinesfalls verwerflich.
Nach meinem Rechtsempfinden haben wir unsere Bürgerpflicht getan.

„Es braucht alle!“ – Schlussworte eines Bonner Aktivisten

Es wird oft angeführt, dass es ja genügend andere Mittel gebe, sich für mehr Klimaschutz einzusetzen.
Das stimmt. UND es braucht den Protest und zivilen Widerstand!
Ich selbst habe schon zig Petitionen unterzeichnet, war auf zig Demonstrationen, ich engagiere mich
ehrenamtlich in der Klimaschutzgruppe Königswinter, die in meiner Heimatstadt Klimaschutzmaßnahmen umsetzt.
Das alles ist wichtig und notwendig und es gibt alle Hände voll zu tun!
Leider wird das alles nicht ausreichen, den Klimakollaps zu verhindern. Es wird nicht ausreichen, wenn wir es nicht schaffen, die Politik dazu zu bringen, die wirklich großen Hebel zu bewegen, den Gas- und Öl-Hahn zuzudrehen, das Kohleband zu stoppen und umzuschalten auf erneuerbare Energien, unser Wirtschaften umzugestalten zu einem Leben mit der Natur, statt für den Profit auf Kosten der Natur. Ich möchte alle Anwesenden dazu ermutigen, für sich selbst zu schauen, wo Sie selbst Möglichkeiten sehen, ihre Stimme zu erheben und Einfluss zu nehmen und unserem Wunsch nach einer lebenswerten Zukunft für uns und die folgenden Generationen, für Mensch und Tier, Nachdruck zu verleihen.
Unsere Reichweite kann groß sein. Zum Beispiel im Beruf oder im privaten Umfeld. Jede Stimme wird
gehört und kann einige Menschen erreichen. Jeder Mensch kann Teil des großen Alarms sein und mithelfen, andere Menschen aufzuwecken. Am ersten Verhandlungstag wurde ich von Zuschauenden darauf aufmerksam gemacht, dass es neben den psychologischen Hürden, auf die ich in meiner Einlassung eingegangen bin, ein weiteres, handfesteres, Problem mit dem Klimaschutz gibt. Allen Klimaschutzbewegungen, nicht nur der Letzten Generation, schlägt ein massiver Gegenwind aus den Zeitungen, namentlich der Springe-Presse, entgegen. Als Anschaungsbeispiel habe ich eine Ausgabe der B.Z. mitgebracht, die ich einmal in Berlin gekauft habe, ohne zu wissen, um welche Art von Zeitung es sich handelt. In dem Bericht wird von den protestierenden Menschen durchgehend als „Klima-Radikalen“, „Klima-Schmierern“ und „Klima-Sekte“ gesprochen.
Der Haupteigner des Springer-Verlags ist ein Unternehmen der fossilen Wirtschaft. Neben der Letzten Generation sind auch Vorhaben, wie das Heizungsenergiegesetz auf der Abschussliste der Zeitungen der Springer-Presse. Dementsprechend groß sind die Ressentiments aus der Bevölkerung gegenüber diesen Themen. Unsere Anschauungen können manipuliert werden und sehr schnell entsteht ein Bild von einem Gespenst, dass uns schaden möchte. So werden Klimaschutzbewegungen diskreditiert und in eine zwielichtige Ecke gedrängt. Leider greifen einige dieses künstlich geschaffene Image und treiben es noch weiter, indem sie in dieselben Hörner der Hetz-Presse blasen, friedliche Taten bis zum Terrorismus kriminalisieren.
Die Realität ist aber, dass diese Menschen des Protests ein Querschnitt der Gesellschaft sind, aus allen
Bevölkerungsschichten kommen, größtenteils vollkommen friedlich sind und sich nur um unsere Zukunft
sorgen. Ich glaube, dass Sie, Frau Staatsanwältin, und Sie, Herr Richter, dies nach den Aussagen der Angeklagten und der befragten Zeug*innen bestätigen können. Nun haben Sie die schwierige Aufgabe, wie sie in dem Fall entscheiden. Auf der einen Seite muss der Straftatsbestand gewürdigt werden, auf der anderen Seite sollte das Urteil auch gerecht sein und als gerecht empfunden werden können.
Dagegen steht die vermeintliche Ungerechtigkeit unserer Regierung, die das Gesetz bricht, indem sie uns wirksamen Klimaschutz vorenthält und dann so lange am Klimaschutzgesetz herumschraubt, bis es zu ihren Vorstellungen passt.

Wir alle, die hier angeklagt sind, haben für den Protest am 15. Juni letzten Jahres viel auf uns genommen.
Wir sind teilweise aus anderen Städten angereist, vielleicht Urlaub oder Freizeit geopfert. Jeder hat sich seiner/ihrer Angst gestellt, hat sich auf den Boden vor Fahrzeuge gesetzt und sich, teilweise angeklebt, er Willkür anderer Menschen ausgesetzt, friedlich und ohne Gegenwehr. Wir stehen mit unserem Gesicht und unserem Namen zu unserer Tat. Wir wollten weder fliehen, noch uns einer gerechten Strafe entziehen. Ich habe im vergangenen Jahr mehr als 100 Menschen der Letzten Generation persönlich kennengelernt. Ob es der 15-jährige Schüler ist oder die fast 80-jährige Rentnerin (mit denen ich auf der Straße saß), keiner von ihnen geht es um eine Ideologie oder um eine Meinung. Auch nicht um Ruhm, den gibt es dafür leider nicht, genausowenig um Geld. Sie sind sich bewusst, dass ihre Schulbildung oder die berufliche Karriere auf dem Spiel steht, dass sie vielleicht vorbestraft werden. Wenn ich ihre Motivation in einem Wort zusammenfassen wollte, würde ich es Nächstenliebe nennen.
Dieselben Menschen haben sich um Obdachlose auf der Straße gekümmert, als sie in Berlin im Protest waren oder sie haben sich um einander gekümmert, wenn der psychische Druck zu groß wurde. Ich habe Hochachtung vor diesen Menschen. Auch weil sie so mutig sind aber vor allem, weil sie so lieb sind. Ich habe den Protest nicht gemacht, um im Nachhinein mit einer möglichst kleinen Strafe davonzukommen, sondern weil ich den Protest notwendig finde und weil es ein wichtiges Mittel unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats ist, zu protestieren. Unsere Demokratie besteht nicht nur aus Wahlen allein.
Ich wünsche mir, dass dieses Recht geschützt wird und dass die Sorgen der Menschen gewürdigt werden und nicht durch Hetze attakiert und mit opportunistischer Politik niedergedrückt werden. Ich hoffe, dass Sie alle hier im Saal dem zustimmen können, dass wir die friedlichen Proteste von Fridays for Future bis Letzte Generation unbedingt brauchen. Lassen Sie uns nicht mit denen gemein werden, die mit allen Mitteln versuchen, diese Stimmen zum Schweigen zu bringen!