Revisionsentscheidung vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe: “Weder wegweisend noch weise”

21. Februar, 18 Uhr 

Am 20. Februar 2024 fand die erste mündliche Verhandlung im Kontext der Letzten Generation vor einem Oberlandesgericht statt. RAZ e.V.i.G. begleitete dieses Verfahren sowohl in der Vorbereitung als auch vor Ort und ordnete den Prozessverlauf für die anwesenden Unterstützer:innen, Aktivist:innen und Pressevertreter:innen anschließend ein. 

Hintergrund der Hauptverhandlung 

Am 21.11.2022 wurde ein Aktivist der Letzten Generation vor dem Amtsgericht Freiburg freigesprochen. Er hatte sich für seine Beteiligung an drei Straßenblockaden Anfang 2022 vor Gericht verantworten müssen. Der Angeklagte, sowie seine Verteidigerin, gingen damals in den ersten Gerichtsprozess vor dem Freiburger Amtsgericht mit der Erwartungshaltung, dass an dem Tag, wie so oft zuvor in Berlin auch, zu einer durchschnittlichen Geldstrafe verurteilt würde. Sie wurden überrascht: Der Richter sprach nach einem langen Verhandlungstag frei. 

Dieser Freispruch erging aus rechtlichen Gründen. Das Gericht bejahte Gewalt i.S.d. § 240 Abs. 1 StGB, aber verneinte die Verwerflichkeit der einzelnen Straßenblockaden aufgrund ausführlicher verfassungsrechtlichen Abwägungen. In dem Urteil wurde hervorgehoben, dass Eingriffe in die Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer:innen zwar erheblich (es kam bei einer Blockade zu 18km Stau) gewesen wäre, aber die Autofahrer:innen “direkte Adressaten und Akteure der Mobilitätswende sowie der damit verquickten Forderungen” seien. Weiter: “Der Zweck, den Autofahrern direkt die tägliche Verkehrsbelastung durch den Berufsverkehr und den CO2-Ausstoß vor Augen zu führen, weist einen direkten Sachbezug zur Blockade eben dieser Autofahrer auf. Auch das durch den Angeklagten bei der Aktion beworbene „Essen-Retten-Gesetz“ weist einen direkten Bezug zu den blockierten Personen auf.

Das Amtsgericht Freiburg ging des Weiteren ausführlich auf den Zusammenhang des thematisierten CO2-Ausstoßes und den betroffenen Autofahrer:innen ein: „So sind nach dem Klimaschutz-Expertenrat der Bundesregierung die für 2030 anvisierten Klimaziele so gut wie nicht mehr erreichbar und dem Verkehrssektor kommt eine besondere Rolle beim erforderlichen „Paradigmenwechsel“ zu: Die Verminderung müsste 14mal so hoch sein […]. Autofahrer sind demnach keine Unbeteiligten, sondern maßgeblich für den CO2-Ausstoß verantwortlich und damit Teil der Klimaproblematik.” 

Auch die Bedeutung des sogenannten Klimabeschlusses durch das Bundesverfassungsgericht von 2021 fand Eingang in das schriftliche Urteil des Richters. Er betonte, dass die mit der Klimakrise einhergehenden Beschränkungen von den Grundrechtsberechtigten, in diesem Fall sind die Autofahrer:innen gemeint, zwangsläufig mit in die Verwerflichkeitsprüfung mit einzubeziehen seien, da „mit Fortschreiten des Aufbrauchens des CO2-Budgets immer drängendere Beschränkungen CO2-relevanter Verhaltensweisen verfassungsrechtlich geboten [sind], mithin die Einschränkungen der individuellen Fortbewegungsfreiheit mit Pkws in den kommenden Jahren bis 2030 durch den Staat werden wird.“

Das gesamte Urteil ist hier nachzulesen.  

Im Nachgang legte die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Revision ein. Es wurde beantragt, den Freispruch vom 21.11.2022 aufzuheben und zur Verhandlung an eine andere Kammer des Gerichts zu verweisen. 

In der mündlichen Verhandlung am 20.02.2024 hob der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft einzelne Punkte gezielt hervor. 

Urteil: Revision der Staatsanwaltschaft wird stattgegeben

Nach circa 1.5 Stunden mündlicher Verhandlung verkündete der Senat des Oberlandesgericht seine Entscheidung: Der gesamte Fall wird an das Amtsgericht Freiburg zurückverwiesen. Der Revision der Staatsanwaltschaft wurde stattgegeben und es sollen ergänzende Feststellungen zu den Auswirkungen der einzelnen Blockaden getroffen werden.

Die vorsitzende Richterin erklärte, dass der Revision stattgegeben würde, aber das verfolgte Ziel – eine Verurteilung des Angeklagten in drei Fällen – nicht möglich sei, da dies aufgrund lückenhafter Ausführungen im schriftlichen Urteil des Amtsgerichts Freiburg, noch nicht vollständig entschieden werden konnte. Anschließend an ausführliche Erläuterungen zur Verwerflichkeitsprüfung erklärte die vorsitzende Richterin, dass eine inhaltliche Beurteilung des Protestanliegens nicht vorgesehen wäre und gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts verstoßen würde. 

Im Nachgang erklärte das Gericht vor der Presse, dass dies keine Absage an mögliche Freisprüche sei, sondern Korrekturen notwendig sind, bevor eine inhaltliche Entscheidung ergehen kann. Allerdings äußerte es, dass es bei einer unangekündigten Blockade mit einem erheblichen Rückstau, nicht vorhandenen Ausweichmöglichkeiten, sowie eventuell nur unmittelbar vorhandenen Bezug zum Protestinhalt, eine Verneinung der Verwerflichkeit eher als fernliegend betrachten würde. 

Kritische Stimmen 

Nicht nur die anwesenden Aktivist:innen, sondern auch Anwältin Christina Groebmayr und die frühere Verteidigung vor dem Amtsgericht Freiburg, Zoë Ruge, äußerten sich kritisch dem Beschluss gegenüber. Auch Prof. Dr. Hefendehl erklärt seine Bedenken näher. 

Prof. Dr. Hefendehl, Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Universität Freiburg, zu dem heutigen Urteil: „Die Entscheidung des OLG Karlsruhe ist weder richtungsweisend noch weise. Sie zeigt sich nicht einmal bereit, Farbe zu bekennen und die zunehmend als abwegig empfundene Rechtssprechung zu den sog. Sitzblockaden fortzuschreiben. Sie schiebt einfach die Verantwortung von sich. Die Hoffnung: Möge eine andere Abteilung des AG Freiburg im zweiten Versuch gefälligst so entscheiden wie das Gros der Amtsgerichte“.

Zoë Ruge, die den Freispruch vor dem Amtsgericht Freiburg verteidigte und Geschäftsführerin von RAZ e.V.i.G. ist, äußerte sich ähnlich: „Das OLG hat es heute verpasst, sich eindeutig zu positionieren und sich inhaltlich mit dem Hintergrund der Blockaden zu beschäftigen. Anstatt sich ausführlich die Frage zu stellen, in welchem Verhältnis Art. 20a GG (Schutz unser aller Lebensgrundlagen) und Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit) zueinander verhalten, ging es ausführlich auf die Unmöglichkeit einer Entscheidung aufgrund fehlender Angaben ein. Zwar sei der verfolgte Zweck „bewertend in Beziehung zu setzen“, aber eine politische Bewertung der Protestinhalte wäre dann doch nicht in Ordnung. Das ist enttäuschend, da es heute hier die Möglichkeit gehabt hätte, eine lebendige Zivilgesellschaft zu würdigen.“