Verwaltungsrechtsklage für die Versammlungsfreiheit in Berlin
20.11.2024
Sich friedlich und gewaltfrei zu versammeln ist in Deutschland vom Artikel 8 des Grundgesetz (GG) geschützt – eigentlich. „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“ heißt es dort.
Am 16. März 2024 wurden ca. 100 Versammlungsteilnehmende der Letzten Generation direkt bei bzw. noch vor Beginn einer Versammlung von der Polizei unmittelbar und unter sofortiger Anwendung körperlichen Zwangs geräumt und festgenommen. Dieses Vorgehen der Berliner Polizei, die insbesondere für die Anwendung von Schmerzgriffen sowie allgemein gewaltvolles Vorgehen gegen Demonstrationsteilnehmende bekannt ist, ging im März erneut damit einher, dass die Demonstrierenden nicht vorgewarnt oder vorher zum Gehen aufgefordert wurden. Zum Teil wurden sie im Anschluss über Stunden in polizeilichen Maßnahmen festgehalten, durchsucht und mit in die Gefangenensammelstelle genommen – dafür, dass sie vorhatten, sich an einer Versammlung zu beteiligen. Des Weiteren wurden Platzverweise ausgestellt und weitere Ingewahrsamnahmen angedroht, sollten diese nicht befolgt werden.
Aus einer beobachtenden Perspektive, insbesondere wenn einem die allgemeinen Methoden zivilen Ungehorsams der Letzten Generation oder anderen Gruppierungen nicht gefallen, mag all dies wie nachvollziehbares Vorgehen der Polizei erscheinen – „eventuell wäre durch die Versammlung ja etwas blockiert worden, Aktivist*innen in solchen Kontexten sind ja dafür bekannt, dass sie eh nicht freiwillig gehen…“
Darauf lässt sich verschiedenes erwidern: Der Charakter öffentlicher Versammlungen, ob angemeldet oder nicht, birgt im Kern die Möglichkeit, im öffentlichen Raum etwas zu „blockieren“. Für fast jede Demonstration wird eine Straße kurzzeitig gesperrt, der Verkehr umgeleitet. Oftmals wird argumentiert, bei angemeldeten Versammlungen könnten sich Verkehrsteilnehmende ja vorher über über Social Media Plattformen oder im Radio darüber informieren, wo Sperrungen auftreten. In großen Städten, wie Hamburg, Berlin oder München, wo mehrere Demonstrationen jeden Tag stattfinden, ist dies schlicht nicht praktikabel, und diverse zivile als auch polizeiliche Zeug*innen sagen regemäßig vor Gericht aus, dass sie das nie tun.
Den öffentlichen Raum teilen sich alle Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen und Rechten. Im Fall von Meinungskundgebungen, Demonstrationen und politischen Versammlungen wird entsprechenden Versammlungsteilnehmenden gewissermaßen Vorrang gegeben, den sonst Verkehrsteilnehmende haben, denn beide Gruppen haben ein Anrecht auf besagten öffentlichen Raum – es geschieht eine Grundrechtsabwägung.
Daraus ergibt sich allerdings in diesem Fall: Das Vorgehen der Polizei an jenem Tag (und an diversen weiteren) weist schlicht keine rechtliche Grundlage auf. Die Freiheit der Versammlung im öffentlichen Raum ist im Art. 8 GG als Grundrecht festgehalten. Sie bedarf keiner vorherigen Genehmigung. Mögliche Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind möglich, jedoch unter klaren Kriterien. Diesem Grundsatz entzieht sich insbesondere die Stadt Berlin bzw. die Polizei Berlin in der direkten Ausübung in verschiedenen Kontexten jedoch regelmäßig.
Beschränkungen der Versammlungsbehörde sind möglich, wird diesen nicht nachgekommen, kann eine Versammlung auch polizeilich aufgelöst werden. Versammlungsgesetze entfalten allerdings eine Art Sperrwirkung: polizeiliche Maßnahmen dürfen erst nach vorheriger Auflösungsverfügung ergehen. Beides ist in diesem Fall nicht geschehen, weder eine Beschränkung, noch die formale Auflösung. Stattdessen wurde die Versammlung von Anfang an nicht als solche anerkannt oder behandelt.
Eine Versammlung ist klar definiert: Sie besteht dann, wenn sich mindestens zwei Personen gemeinsam zum Zwecke der öffentlichen Meinungsbildung zusammenfinden. Knapp 100 Menschen mit Schildern, Bannern, Sprechchören und einem gemeinsamen politischen Thema stellen offensichtlich eine Versammlung dar – gut erkennbar auch für jegliche Polizist*innen.
Auch besteht oft die Auffassung, das Versammlungsrecht sei nur anwendbar, wenn die Versammlung vorab angemeldet wurde. Dem ist nicht so: Eine Versammlung kann auch spontan oder im Eilverfahren angemeldet werden; ganz praktisch also auch vor Ort, wenn sich die Menschen bereits versammelt haben. Tatsächlich steht eine Versammlung selbst dann unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit, wenn sie nicht angemeldet ist oder keine vom Gesetz vorgesehene Versammlungsleitung hat, wie das Bundesverfassungsgericht längst klargestellt hat. Auch dann geht die Absprache über die Polizei und die Versammlungsbehörde, die diese Versammlung dann reaktionär evaluiert und eventuell beschränkt oder bestimmte Auflagen vorgibt. Bis dies geschehen ist, ist die Versammlung als solche anzuerkennen.
„Die Polizeifestigkeit der Versammlung, also die Sperrwirkung der Versammlungsgesetze gegenüber dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, gehörte bislang zu den Grundpfeilern des deutschen Versammlungsrechts. Danach muss die zuständige Behörde eine Versammlung zunächst auflösen, bevor sie weitergehende Maßnahmen ergreifen darf. Diese schlichte Schrittfolge bereitet den handelnden Behörden in der Praxis dennoch oftmals erstaunliche Schwierigkeiten: Fälle, in denen Maßnahmen allein deshalb rechtswidrig sind, weil es an der vorherigen Auflösung einer Versammlung gefehlt hat, sind mit einiger Regelmäßigkeit in der Rechtsprechung zu finden.“ – Benjamin Rusteberg, Unfriedlichkeit statt Verhinderungsblockade – Verfassungsblog
Das Vorgehen der Polizei sowie das regelmäßige Tolerieren dieses Vorgehens Berlins stellt Einschränkungen der Versammlungsfreiheit dar, die, wie ausgeführt, ein Grundrecht der Menschen in Deutschland ist. Der der Rechtsschutz gegen solche Maßnahmen ist leider oft schwierig, weil es vor Ort keine Handhabe gibt, gegen das Vorgehen vorzugehen. Dies ist immer erst im Nachhinein möglich, und das Verfahren kann mehrere Jahre dauern, weil es keinen Eilrechtsschutz gibt. Auch kostet ein solches Verfahren so viel Geld, dass es meist finanziell nicht möglich ist, jede Mal zu klagen.
Entsprechend klagt nun Regi Stephan als Teilnehmende Person der Versammlung exemplarisch gegen jenen Fall aus dem März in Form einer Verwaltungsklage, die der RAZ mit begleitet – gegen die Missachtung der Versammlungsfreiheit, gegen die damit einhergehende rechtswidrige Handlung der Polizei und für das Recht, sich friedlich zu versammeln, unabhängig des Themas und der Gruppe.
Aus ähnlichen Gründen laufen auch unsere aktuellen Verfassungsbeschwerden. Denn solche exemplarischen Verfahren haben die Möglichkeit, Präzedenzfälle zu schaffen und so langfristig unter juristischem Druck das Verhalten der Polizei zu beeinflussen, gegenüber welcher Dienstaufsichtsbeschwerden leider meist ins Leere laufen.
Es ist einem Rechtsstaat unwürdig, dass die Teilnahme an einer Versammlung dazu führt, dass Menschen stundenlang grundlos festgehalten, ihre Personalien aufgenommen oder sie über Stunden in Zellen gesperrt werden – auch wenn sich die Erfahrungen und Berichte eben jenes Vorgehen manchmal beinahe normalisiert anfühlen.
Besagte Verfahren kosten Geld für Anwält*innen. Wer die Klage für die Versammlungsfreiheit unterstützen möchte kann dies hier tun. Eure Spenden gehen an den Umwelt-Treuhandfonds (UTF), der für die gesamte Klimabewegung Rechtskosten übernimmt. Treuhänder ist Rechtsanwalt Hans-Gerd Heidel. Sollte der Spendenzweck wegfallen, z.B. weil wir das Gerichtsverfahren gewinnen, wird der UTF eure Spenden entsprechend seinen Kriterien für die Rechtskosten in anderen Verfahren verwenden.