Erfahrungsbericht über ein Gefängnistraining

An einem Wochenende im Juli 2024 fand in Leipzig drei Tage lang ein einführendes Gefängnis-Training des RAZ statt. Diese werden vom RAZ seit Mitte 2023 regelmäßig kostenlos angeboten für die unterstützten Bewegungen und Gruppen und gehen normalerweise ein Wochenende lang. Es gibt ein zweites, etwas kürzeres Training, das auf dem ersten aufbaut und in dem noch konkretere Fragen behandelt werden.

Dies ist ein kleiner Erfahrungsbericht, der euch vielleicht einen Einblick geben kann, wie ein solches abläuft, was für Themen dort besprochen werden und welche Fragen die mitmachenden Menschen bewegen. Dieser Erfahrungsbericht kommt von mir als Einzelperson, also lest gerne mit dem Wissen: Ihr hättet das Wochenende vielleicht anders wahrgenommen, wenn ihr mit anderen Fragen und anderen Hintergründen als ich dort gewesen wärt.

Bericht über das Training

Das Wetter hätte am Wochenende des Gefängnis-Trainings nicht besser passen können: Irgendwie verregnet und schwül, obwohl es Ende Juli war. Wäre draußen strahlender Sonnenschein und Hitze gewesen, hätten wir alle wohl häufiger daran gedacht, dass wir lieber am See liegen würden anstatt drei Tage in einem Seminarraum zu sitzen. Der Regen und die sich abwechselnde Schwüle und Kühle machten es einfacher, sich mit der ungemütlichen Thematik und dem Gedanken zu befassen: Wir sind alle hier, weil wir vielleicht in den Knast gehen.
“Wir” waren in diesem Fall acht Personen zwischen Anfang 20 und Anfang-Mitte 70, plus Isabelle, die das Training gab. Schon die Beweggründe, warum wir da waren, unterschieden sich: Einige von uns hatten bereits Haftstrafen in Aussicht über Verurteilungen an Amtsgerichten, auch wenn diese noch nicht rechtskräftig waren. Einigen war klar: Sie werden kommen, die Haftstrafen, allein durch die Höhe an Tagessätzen, die einfach nicht bezahlt werden können.
Ich und eine Freundin waren aus zwei Gründen da: Einerseits arbeiten wir beide beim RAZ in unterschiedlichen Rollen mit und wollten gerne alle Bereiche unserer Vereinsarbeit erleben, um selber besser arbeiten zu können auf unseren Gebieten. Wir beide überlegen aber auch, Tagessätze bewusst abzusitzen: Also Geldstrafen, auch wenn sie vielleicht bezahlt werden KÖNNTEN durch Crowdfundings, Hilfe der Familie etc., in Ersatzfreiheitsstrafen umzuwandeln. Der Unterschied ist also: Die Entscheidung für die Haft wird aktiv getroffen.
Manche von uns waren in Rente, manche lohnarbeiteten, manche bezogen Bürgergeld oder waren in Einkommens-Ökonomien (LINK) organisiert. Eine bunte Mischung aus Menschen mit den unterschiedlichsten Fragen, allen voran: Wie überstehen ich und mein Umfeld es, wenn ich in den Knast gehe?!

Holger Isabelle, unsere “Knast-Trainerin”, saß selber mehrfach kürzer und länger in Haft, als Folge ihrer Zeit in der Friedensbewegung, explizit im Kontext Mutlangen.

Zu großen Teilen waren die Inhalte chronologisch aufgebaut, angelehnt an einen echten Haftantritt:

  • Was bedeutet Freiheit für mich? Was hat Freiheit mit Gefängnis zu tun?
  • Was bedeutet es eigentlich, aus politischen Gründen in Haft zu gehen?
  • Wie sieht die Haftanstalt aus, sowohl von innen als auch von außen? Was gibt es für Unterschiede, je nachdem, ob sie neuer oder älter ist? Was für unterschiedliche Arten an Haft gibt es, also bspw. geschlossenen und offenen Vollzug?
  • Der Haftantritt: Was passiert, bzw. kann passieren und vorbereitet werden direkt vor der Haftanstalt, bevor ich also durch das Tor hinein gehe? (Mahnwache, Presse, Freunde, die einen bringen…) Was hat bereits dies vielleicht für Auswirkungen auf meine Stellung im Knast selbst?
  • Der Moment, in dem ich durch das Tor gehe und allein bin: Das Prozedere, aufgenommen zu werden am ersten Tag. Was erwartet mich da? Was darf ich mitnehmen? Was darf ich eigentlich mit nehmen, aber ich bekomme es vielleicht erst einige Tage später? Was ist, wenn ich Medikamente nehmen muss?
  • Der Haftalltag. Wie verbringe ich meine Zeit?
  • Meine Mitgefangenen und der Umgang mit ihnen. 
  • Die Entlassung. Was passiert noch im Gefängnis, wie möchte ich abgeholt werden, von wem, kann es vielleicht überwältigend sein, wenn viele Leute mich abholen plus im Zweifel Presse?
  • Die Zeit danach.

Zwischendurch schrieben wir immer wieder Briefe. Was sich beim ersten Brief noch etwas lächerlich anfühlte, wurde SEHR schnell zur Lieblingsaufgabe aller Teilnehmenden: Am ersten abend fanden sich zwei Personen zusammen, die sich im Laufe der drei Tage drei bis vier Briefe schreiben im Zuge einer Art Rollenspiel: Eine Person hat grade ihre Haft angetreten, die andere ist eine Freundin draußen. SO UNGEWOHNT. Denn: Wer schreibt heute noch Briefe? Wir alle sind Kurznachrichtendienste gewöhnt, sind gewöhnt, dass Antworten im Laufe von Minuten kommen, oder wir halt kurz anrufen. Im Gefängnis ist die Hauptkommunikation nach draußen der Brief. Da hat sich seit den 90ern nicht viel getan. Was im Zuge dieser drei Tage alles an Gedanken hochkam, hätte ich nie erwartet. Ich spielte für einen befreundeten Mensch die Freundin, die draußen ist. Der erste Brief war schwer. Wo fang ich an, wenn mein Gegenüber heute gerade eingesessen hat? Der zweite Brief war einfach: Ich konnte eingehen auf Punkte aus dem letzten Brief: Es gab viel zu erzählen aus dem neuen Haftalltag. Der dritte Brief: Uff. Du bist schnell auserzählt. Im Knast passiert nicht viel, wir hatten gelernt, dass die Reize und Geschehnisse dort auf ein Minimum reduziert sind. Währenddessen geht draußen das Leben weiter. Aber: Wie viel will ich davon erzählen? Was macht die inhaftierte Person vielleicht traurig, weil man es verpasst? Mir wurde geschrieben: “Ich bin einsam, mir ist langweilig.” Und ich konnte nichts tun. Es war nur ein Rollenspiel, aber ich fühlte mich hilflos. Und wusste: Das ist nur ein Bruchteil dessen, was ich fühle, wenn meine Lieben WIRKLICH im Knast sind und ich nichts tun kann. Oder sehr wenig direktes zumindest.
Die Auswertung des Briefeschreibens brachte noch einmal enorm viele Themen und Fragen hoch, die wir besprachen. Und wir alle merkten: Wir haben vergessen, wie sehr man sich freut, wenn man einen richtigen Brief bekommt! Schreibt wieder Briefe Leute!

Das ganze Wochenende konnte Isabelle immer wieder spannende, ernste, aber auch lustige Anekdoten erzählen von ihrer Zeit in Haft. Das lockerte enorm die Stimmung auf. Wir “spielten” auch einen Hofgang, ein Experiment, das Isabelle auch zum ersten Mal bei einem Knast-Training machte. Denn: Das Training wird kontinuierlich weiterentwickelt und aktuell wohl auch noch mal etwas umgestellt, damit es etwas weniger Input geballt am zweiten Tag ist.

Was nehme ich nun mit, am Montag danach? 

Wahnsinnig viel. Viel Wissen. Viel Wunsch nach weiterlesen von Büchern, die uns gezeigt wurden. VIELE Fragen. Ich glaube, die meisten gingen mit mehr Fragen, als sie vorher hatten, nur dass diese alle viel konkreter sind. Der Knast ist  greifbarer geworden. Realer. Das ist gruselig. Das öffnet Emotionen in mir. Aber es fühlt sich nun mehr danach an, als wäre ein Knastaufenthalt etwas, das sich bewältigen lässt mit der nötigen Vorbereitung. Zumindest für mich. Mein Umfeld und meine Familie sind da was anderes. Dass der RAZ mit einem kleinen Pool an rein ehrenamtlich arbeitenden Menschen versucht, Umfeld und Familie zu unterstützen in der Zeit der Haft, ist bestärkend und ich bin diesen Menschen jetzt schon dankbar. Für mich folgt nun ein zweites Knast-Training, das noch konkreter wird, mit einer anderen Person, die viel Gefängniserfahrung hat. Und es ist vor allem spannend zu wissen: Knast bedeutet Bürokratie. Bedeutet wahnsinnig viel Vorbereitung und Aufwand. Und gleichzeitig geht wohl niemand in Deutschland SO vorbereitet ins Gefängnis wie die Menschen, die sich mit dem RAZ vorbereitet haben. Denn die Gefängnis-AG wird all diese Fragen, diese Orga-Punkte mit den Menschen durchgehen, wenn der tatsächliche Haftantritt ansteht. Welcher Knasti hat schon die Möglichkeit, dass die Familie emotional begleitet wird, und man selber ein Netzwerk hat, das einen auf dem Level stützt?
Ich arbeite selber im RAZ mit, und sogar mir ist noch viel viel mehr deutlich geworden, was für eine krasse Arbeit das ist, was für Angebote, die wir geben können. 

Und noch etwas letztes, das ich mitnehme: Wenn du diesen Erfahrungsbericht liest, ist die Chance nicht gering, dass jemand, den du kennst, irgendwann in den nächsten Monaten oder Jahren ins Gefängnis muss für Aktivismus. Auch wir als Netzwerk, als Freundeskreis können und müssen unterstützen, denn es ist eine Ausnahme- und eine Extremsituation. Die Dinge zu wissen, die das Training einem gibt, sind auch für diese Menschen wahnsinnig wertvoll. Also: Nehmt euch die Zeit, wenn ihr könnt.