Gericht entscheidet: Hausdurchsuchung in Passau rechtswidrig
16. Mai 2024
“(…) sie ließen auch ein Gefühl zurück: Sie können jederzeit wieder in meinem Zimmer stehen. Wenn der Ermittlungsrichter das schon wegen ein paar Plakaten zulässt, unterschreibt er ihnen wahrscheinlich alles, was sie ihm vorlegen.”
Am 21.07.2023 erließ das Amtsgericht Passau auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Beschluss, mit welchem nach §§ 102,105 Abs. 1,162 Abs. 1 StPO die Durchsuchung der Wohnung von Christian angeordnet wurde. Gesucht werden sollte nach Plakaten, Kleber, Plakatvorlagen. Außerdem nach elektronischen Geräten, die Hinweise auf weitere Plakatier-Aktionen geben könnten, sowie der Bekleidung („zur Tatzeit getragene Herrenoberbekleidung“), die Christian trug, als er vier Tage vorher in Passau gemeinsam mit weiteren Personen Plakate der Letzten Generation aufhängte.
Am 11.September 2023 durchsuchte die Polizei dann seine Wohnung. Zum Zeitpunkt war Christian selber nicht zu Hause, da er am vorigen Abend nach 10 Tagen aus dem Präventivgewahrsam in Stadelheim entlassen wurde, da er sich an Straßenblockaden der Letzten Generation in München beteiligt hatte.
Eine weitere Person, deren Wohnung auf selber Grundlage zeitgleich durchsucht wurde, wohnte auf österreichischer Seite der Grenze. Deshalb musste hier ein europäischer Durchsuchungsbeschluss ergehen und österreichische Beamt:innen in Amtshilfe die Durchsuchung durchführen – ein enormer und grenzübergreifender Aufwand für das Vergehen, ohne Erlaubnis Plakate aufgehängt zu haben.
Christian erinnert sich an den Tag wie folgt:
“Ich habe selten so ein Freiheitsgefühl erlebt, wie als ich zusammen mit den Menschen, mit denen ich im August intensiv im Protest gewesen war, in einer Bar in München saß und tun und lassen konnte, was ich wollte.
Umso mehr hat es mich am nächsten Vormittag überrascht, als ich in einem Haus im Münchner Umland mit den sanften Worten „Schau mal auf dein Handy, bei dir wurde heute Morgen die Wohnung durchsucht“ geweckt wurde.
Mein Mitbewohner hatte an dem Tag Geburtstag. Er dachte, es wären Freund:innen, die ihn schon um 7.30 Uhr feiern wollten. Die uniformierten Überraschungsgäste waren zwar in Feierlaune – in Passau scheinen seit dem Aufkommen der Proteste der Letzten Generation manche Beamte in Stadtverwaltung und Polizei wieder einen Sinn in ihrer Arbeit gefunden zu haben – aber nicht seinetwegen da.
Sie kamen mit einem Durchsuchungsbeschluss, den Amtsrichter Wendt unterschrieben hatte, der zuvor schon meinen Freund Micha für 17 Tage in Gewahrsam nach Stadelheim geschickt hatte, um den Politischen Aschermittwoch der CSU vor einer Störung zu bewahren, und der im März 2024 zwei Menschen wegen zweier Straßenblockaden zu fünf Monaten Haft verurteilen sollte.
Am Telefon erzählte mein Mitbewohner mir, wie es ablief. Die Polizeikräfte durchsuchten mein Zimmer sowie Küche und Bad, steckten alle elektronischen Geräte ein, die sie fanden: meinen Laptop, mein Tablet, zwei alte Handys. Sie hinterließen das Zimmer recht ordentlich. Aber sie ließen auch ein Gefühl zurück: Sie können jederzeit wieder in meinem Zimmer stehen. Wenn der Ermittlungsrichter das schon wegen ein paar Plakaten zulässt, unterschreibt er ihnen wahrscheinlich alles, was sie ihm vorlegen. Schnell hat mich die Ahnung beschlichen, dass sie genau diese Gedanken auslösen wollten. Dass darin das eigentliche Ziel dieser Hausdurchsuchung bestand.
Gleich am selben Vormittag telefonierte ich mit einer Person vom heutigen RAZ, die mir meine Rechte erklärte. Noch am selben Tag bekam ich einen Anwalt, Urs Erös aus Regensburg. Er riet mir im Januar dazu, meine Beschwerde gegen die Durchsuchung beim Landgericht aufrechtzuerhalten, auch wenn ich meine elektronischen Geräte nach knapp drei Monaten zurückbekam.”
Mit Erfolg: Das Landgericht Passau hob den Beschluss des Amtsgerichtes auf! Die Hausdurchsuchung, auch wenn bereits durchgeführt, ist rechtswidrig, da weder erforderlich noch verhältnismäßig.
Rechtsanwalt Urs Erös, der Christian in dieser Sache als Anwalt zur Seite stand, ordnet das Geschehene wie folgt ein:
„Wir Strafverteidiger müssen immer wieder feststellen, dass die Ermittlungsrichter den Löwenanteil der Anträge der Staatsanwaltschaften in Bezug auf Durchsuchungen, Überwachung der Telekommunikation, etc., ungeprüft durchwinken.
Dies entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben, soll doch genau der Richtervorbehalt dazu dienen, bereits vorab eine Abwägung hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten. Dies ist deshalb so wichtig, da es zwar nett ist im Nachgang von einem Gericht dahingehend bestätigt zu werden, dass die ergriffene Maßnahme rechtswidrig war – nur ist diese dann bereits erfolgt, der Grundrechtseingriff irreversibel. Dennoch bin ich froh um den Beschluss des Landgerichts Passau. Die Durchsuchung war unseres Erachtens von Anfang an erkennbar unverhältnismäßig und damit rechtswidrig – dies hätte bereits der Ermittlungsrichter erkennen müssen.“
Die Aktivist:innen und Unterstützer:innen der Letzten Generation stehen zu den von ihnen bewusst begangenen Regelübertritten und verheimlichen diese nicht. Die beiden Beschuldigten wurden von der Polizei bereits beim Kleben der Plakate aufgehalten, die Polizei gibt an, über Videoaufnahmen der Tat zu verfügen. Aus justizieller Sicht hätte hier der Verdacht einer Sachbeschädigung, welche vergleichsweise auch noch ein sehr geringer Straftatvorwurf ist, bereits als aufgeklärt gelten können.
Anwalt Erös führt dazu weiter aus:
„Dann dennoch einen massiven Grundrechtseingriff wie die Durchsuchung einer Privatwohnung anzuordnen ist ganz offensichtlich rechtswidrig, an der Grenze zur Rechtsbeugung. Dass dann als logische Konsequenz auch die Beschlagnahme von electronic devices unverhältnismäßig und damit rechtswidrig war, ergibt sich denknotwendig. Zum Nachweis, dass Plakate geklebt worden sind, wäre eine Sicherstellung und Auswertung eben gerade nicht nötig gewesen. Es ist m.E. offensichtlich und ausschließlich darum gegangen, Daten und Informationen über die Letzte Generation abzugreifen.
Grundsätzlich freue ich mich über den Beschluss, hoffe jedoch darauf, dass künftig bereits bei der ersten (zu recht) gesetzlich vorgesehenen Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die Ermittlungsrichter dem Gesetz Genüge getan wird um den Bürger vor gravierenden Grundrechtseingriffen zu schützen – und nicht erst im Nachgang deren Rechtswidrigkeit feststellen zu müssen wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist….“
Unterstützung durch den RAZ e.V.
Der RAZ e.V. übernimmt die Vermittlung zur anwaltlichen Vertretung und fungiert als allgemeiner Kommunikator und Vermittler, wo immer es nötig ist.
Hausdurchsuchungen zählen für die Betroffenen zu den belastendsten Mitteln der Justiz. Entsprechend unterstützt werden die Betroffenen bei Bedarf vom emotional-psychologischen Support des RAZ e.V. Dessen Fachkräfte sind darauf spezialisiert, Unterstützung und Beratung in schwierigen Situationen anzubieten und können helfen, mit emotionalen Belastungen umzugehen und Wege zur Bewältigung zu finden. Der RAZ e.V. unterstützt Menschen in ihrem Engagement für eine pluralistische und inklusive Gesellschaft und ist der Überzeugung, dass jede:r das Recht auf angemessene juristische Verteidigung sowie eine unvoreingenommene Behandlung vor Gericht hat.