Was kostet eigentlich ein Gerichtsverfahren?
Vorweg genommen: Was „ein Gerichtsverfahren“ kostet, lässt sich pauschal nicht sagen. Es hängt stark von diversen Umständen ab. In diesem Beitrag stellen wir eine Beispielrechnung auf, was „ein klassisches Verfahren“ einer Straßenblockade kosten kann. Sie kann aufzeigen, an welchen Stellen und für was überhaupt Kosten anfallen und vor allem zeigen, wie schnell viel Geld zusammenkommt – zusätzlich zu der eigentlichen möglichen Geldstrafe in Form von Tagessätzen.
Wichtig ist aber: Seht diese Rechnung nur als Beispielrechnung und nutzt sie nicht, um genauestens eigene Kalkulationen zu machen von möglichen offenen Verfahren.
Dieser Artikel soll vor allem auch zeigen, wie schnell mehrere hundert Euro Gerichts- und Anwaltskosten zustande kommen können.
Umso wichtiger und fantastischer ist es, dass es Töpfe gibt, die z.B. Klimaaktivist*innen beim Bewältigen von diesen Anwalts- und Gerichtskosten unterstützen. Der wohl bekannteste ist die Rote Hilfe, die Teile von Gerichtskosten übernehmen kann. Einer weiterer ist der Umwelt Treuhandfond, der vor allem in Verfahren unterstützt, die der RAZ betreut: Der UTF wurde 2021 gegründet, um Klima- und Umweltaktivist*innen in juristischen Angelegenheiten finanziell zu unterstützen. Er stellt sicher, dass die rechtsstaatlich verankerten Rechte der Aktivist*innen im Verfahren gewahrt und die Konsequenzen ihres Handelns durch eine kompetente juristische Vertretung minimiert werden. Streitige Rechtsfragen können mit Unterstützung des UTF vor Gericht verhandelt und geklärt werden. Der Umwelt-Treuhandfonds ist gruppenunabhängig und bewegungsübergreifend.
Er unterstützt bei Gerichts- sowie Anwaltskosten, nicht bei Geldstrafen.
Damit der UTF auch weiterhin unterstützen kann, ist er dringend auf Spenden angewiesen: Hier könnt ihr ihn unterstützen.
Beispielrechnung Strafverfahren nach einer Straßenblockade (oder Ähnliches)
Ausgangsszenario
Gehen wir von einer Straßenblockade aus, die eine Person in Berlin im Frühling 2023 gemeinsam mit einer Gruppe weiterer Menschen gemacht hat. Für die mögliche Tagessatzhöhe spielt es teilweise eine Rolle, ob die Person sich festgeklebt hat an der Straße, wie lange der Verkehr blockiert blieb, ob es Abfließmöglichkeiten für die sich stauenden Autos gab. Für Gerichts- und Anwaltskosten spielt dies alles erstmal keine direkte Rolle, und auf diese wollen wir ja schauen. Der übliche Verlauf ist nun oft, dass nach einigen Wochen ein schriftlicher Anhörungsbogen bei der Aktivistin eintrifft. Nun kann man sich zur Sache und Einkommensverhältnissen äußern oder es lassen. Meist einige Monate später folgt nun ein Strafbefehl – wir gehen in diesem Szenario also von einem sog. Strafbefehlsverfahren aus. Möglich wäre auch, dass statt eines Strafbefehls, den man annehmen oder gegen ihn Einspruch einlegen kann, eine Anklageschrift kommt und daraufhin eine Gerichtsverhandlung terminiert wird.
Legt die Person auf einen Strafbefehl Widerspruch ein, folgt ebenfalls eine Ladung zur Gerichtsverhandlung.
Rechenbeispiel Gerichts- und Anwaltskosten
Das Verfahren findet nun statt. Die Aktivistin wird vom Amtsgericht zu unter 180 Tagessätzen verurteilt (eine höhere Anzahl an Tagessätzen haben wir bisher selten erlebt), das sind dann gemäß Anlage 1 Nr. 3110 Gerichtskostengesetz (GKG) 155 € Gerichtskosten für diese erste Instanz.
Wenn jetzt Rechtsmittel eingelegt werden und es zu einer Berufungsverhandlung und einem Berufungsurteil kommt, muss die Person 155 € Amtsgerichtskosten + 225 € (1,5×155) Landgerichtskosten zahlen, also insgesamt 380 €. Wenn die Berufung vor Beginn der Hauptverhandlung zurückgenommen wird, fallen 155 € Amtsgerichtskosten + 77.50 € (0,5×155),also insgesamt 232,50 € an. Wenn die Berufung vor Ablauf der Begründungsfrist (eine Woche nach Zustellung des Amtsgerichts-Urteils) zurückgenommen wird, fallen nur die 155 € für die erste Instanz an.
Also runtergebrochen: Geht man durch die 1. Instanz ohne anwaltliche Unterstützung, werden 155 € + Strafe fällig, wenn die Strafe unter 180 Tagessätzen liegt (was die Regel sein dürfte).
Geht man ohne anwaltliche Unterstützung in Form eines Berufungsverfahrens noch durch die 2. Instanz und der Schuldspruch wird bestätigt, kommen weitere 225 € dazu.
Wichtig ist: Zu diesen reinen Gerichtskosten kommen noch eventuelle Auslagen der Zeugen dazu, bspw. Dinge wie Fahrtkosten oder Entschädigung für Verdienstausfall. Wer mehr dazu lesen will, kann unter diesem Link mal bei Wikipedia nachlesen, wo das echt gut zusammengefasst ist.
Wird man freigesprochen oder es wird sich auf eine Einstellung geeinigt, bei der die Staatskasse die Kosten trägt (bei Einstellungen höchst selten der Fall), fallen diese Gebühren für die Aktivistin selbstverständlich nicht an, da ja die Staatskasse sie trägt.
Wie sieht es nun aus, wenn unsere Aktivistin sich aber gerne von einer Anwältin vertreten lassen möchte?
Für Anwält*innen kommen deutlich höhere Kosten zusammen als für die reinen Gerichtskosten. Hier kommen tatsächlich auch die meisten Kosten her, die der Umwelttreuhandfond übernimmt.
Anwaltskosten sind im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) geregelt – genau genommen im “Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte”. Relevant ist hier für uns die Anlage 1 (zu § 2 Absatz 2 RVG).
Hier ein Beispiel aus der Praxis: Unsere Aktivistin hat sich an oben besagter Straßenblockade beteiligt und wird nun in einem Strafbefehlsverfahren angeklagt. Sie möchte sich gerne anwaltlich vertreten lassen, nachdem sie den Strafbefehl per Post erhalten hat.
Der Fall wird vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin verhandelt. Die dabei für die 1. Instanz entstehenden Anwaltskosten sind 693,77 €.
Diese setzen sich wie folgt zusammen:
- Grundgebühr: 176 €
- Verfahrensgebühr: 145 €
- Termingebühr: 242 €
- Post- und Telekommunikationsentgelte: 20 €
- Umsatzsteuer: 110,77 €
Die Grundgebühr fällt an, sobald eine Anwaltsperson ein Verfahren für die Mandantin übernimmt. Sie fällt nur einmal pro Verfahren an. Das heißt: Geht unsere Aktivistin auch durch die zweite Instanz, zahlt sie nicht noch einmal die Grundgebühr. Kommt bei ihr allerdings einige Wochen später ein weiterer Strafbefehl für eine andere Aktion an, gegen den sie erneut Widerspruch einlegt, fällt die Grundgebühr erneut an, auch wenn sie sich hier wieder vom gleichen Anwalt vertreten lassen will.
Die Verfahrensgebühr beschreibt sozusagen die Kosten, die ihr Anwalt für die eigentliche Arbeit ansetzt: Er beantragt Akteneinsicht, geht diese Akte durch, bereitet für das Gerichtsverfahren die Zeugenbefragung vor, telefoniert in dem Zuge vielleicht mit dem Richter… Die Verfahrensgebühr variiert entsprechend manchmal auch, da Anwälte sie teilweise eben danach festlegen, wie viel Arbeit das Verfahren ihnen gemacht hat.
Die Termingebühr ist die Summe, die die Anwältin pro Verhandlungstag bekommt. Wichtig: PRO VERHANDLUNGSTAG. Wird also kein Urteil gesprochen und das Verfahren vertagt, verdoppelt sich diese Summe (oder verdreifacht sich usw.).
Das Post- und Telekommunikationsentgelt ist eine Pauschalsumme, die für, Überraschung, Post und Telekommunikation des Anwalt festgelegt ist – da davon ausgegangen wird, dass dieser im Zuge des Verfahrens in jedem Fall telefoniert, faxt und Post verschickt.
Die Umsatzsteuer beträgt gemäß Nr. 7008 VV des RVG 19% der Gesamtsumme und kommt noch hinzu.
Wer jetzt noch etwas weiter in die Untiefen des Kostenrechts eintauchen will:
An sich kann im Strafrecht jeder Anwalt und jede Anwältin selber sagen, wie viel Geld er oder sie haben will. Es kann auch ein Honorar vereinbart oder nach Stundensatz abgerechnet werden. Ich kann als Anwalt auch eine Grundgebühr von 1500 Euro in Rechnung stellen, auch wenn dieser den im RVG gesetzten Rahmen übersteigt. Viele Anwaltspersonen – und insbesondere aus unserem RAZ-Netzwerk – rechnen nach RVG ab. Das heißt, sie kalkulieren die Kosten nach dem Rahmen, der in der Anlage 1 des RVG gesteckt ist.
Dieser Rahmen bedeutet: Die hier abgesteckten möglichen Anwaltskosten würde im Falle eines Freispruchs der Staat übernehmen. Denn ein Anwalt kann sich natürlich extrem hoch vergüten lassen und es eventuell auch bewerkstelligen, dass die Mandantin freigesprochen wird: Die Staatskasse sag aber eben, dass sie in diesem Falle nur maximal so viel bezahlt für den Anwalt der Freigesprochenen, wie im RVG abgesteckt ist, da alles andere unverhältnismäßig ist. Alles was darüber liegt, müsste die Mandantin zahlen. Für uns bedeutet das: Die Kosten “unserer” Anwält*innen sind sozusagen gedeckelt.
Die Grundgebühr nach RVG eines Wahlanwalts liegt zwischen 44,00 € und 396,00 €. In diesem Rahmen kann er die Grundgebühr ansetzen und davon ausgehen, dass die Staatskasse sie im Falle eines Freispruchs übernehmen würde. Die Grundgebühr eines gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts (umgangssprachlich also ein Pflichtverteidiger) liegt nach RVG bei 176 €.
In unserem realen Rechenbeispiel sieht man: Der Anwalt hat, obwohl er ein Wahlverteidiger ist, die Grundgebühr eines Pflichtverteidigers berechnet. Dies machen einige unserer solidarischen Rechtsanwälte so: Denn die Gebühr liegt sogar noch unter dem Mittelwert, den sie eigentlich berechnen könnten (44-396 € -> 220 €), gleichzeitig ist es nicht das allerniedrigste, was sie berechnen könnten, da sie selber auch über die Runden kommen müssen, insbesondere, wenn sie solidarisch viele Verfahren von Aktivist*innen betreuen, denen gegenüber sie ja entsprechend eine Sympathie haben und eigentlich gerne wenig berechnen würden.
Eine wichtige Anmerkung hierzu vom 26.11.24: Der Umwelttreuhandfond hat angemerkt, dass die hier angegebenen Kosten eine relativ „günstige“ Rechnung sind. Die meisten der bei ihnen eingehenden Kosten setzen sich, anders als die Beispielrechnung, wie folgt nach RVG zusammen:
Grundgebühr € 220,00 + Verfahrensgebühr € 181,50 + Termingebühr € 302,50 + Pauschale € 20,00 + Umsatzsteuer € 137,56, insgesamt € 861,56. Und in der 2. Instanz ohne Hauptverhandlung € 352,00+ € 20 + € 70,68 = € 442,68 bzw. mit Hauptverhandlung (das sind die meisten Fälle) + Termingebühr 352,00 + Umsatzsteuer € 137,56 = € 861,56.
Wir haben weiter oben außerdem schon einmal die oft schwankende Verfahrensgebühr angesprochen: Insbesondere diese wird teilweise auch nach der eines Pflichtverteidigers angesetzt. Denn manche Verteidigungen brauchen eben insgesamt vielleicht 6 Stunden Arbeit, andere 30. Einige Anwält*innen setzen auch aus diesem Grund einfach grundsätzlich den Pflichtverteigersatz an, um alle Aktivist*innen gleich zu behandeln, während sich Zeitaufwand und Kosten mehrerer Verfahren dann ausgleichen können.
Hier noch die Kosten der zweiten Instanz vor dem Landgericht
Diese belaufen sich auf insgesamt 359,38 € Anwaltskosten für unsere Aktivistin:
- Verfahrensgebühr: 282 €
- Post- und Telekommunikationsentgelt: 20 €
- Umsatzsteuer: 57,38 €
Es fällt auf: Die Grundgebühr wird nicht mehr abgerechnet, ebenso wenig eine Termingebühr, denn in diesem realen Beispiel wurde die Berufung zurückgenommen, bevor es zu einer Verhandlung kam.
Es kommen für ein Verfahren, in dem sich eine Aktivistin anwaltlich vertreten lässt, also sehr schnell hohe Kosten auf, auch unabhängig von der möglichen eigentlichen Geldstrafe.
Es gibt viele Wege und Hilfestellungen, um mit diesen Kosten umzugehen. Sei es die eigene Verteidigung vor Gericht (im aktivistischen Kontext kann dies eine extrem empowernde Erfahrung sein), die direkte Unterstützung von Familie und Freund*innen oder Töpfe wie Rote Hilfe und UTF.
Im RAZ versuchen wir, niemanden mit diesem Thema alleine zu lassen und durch gemeinsames Überlegen zu schauen, welcher Weg sich am besten eignet, gut durch staatliche Repression zu kommen. Eine der wichtigsten Unterstützungen dabei war und ist der bereits erwähnte Umwelttreuhandfond, der sich unter steigender Repression gegen Klimaaktivist*innen über jede Spende freut.