Zutrittsverbot zum Bundestag wegen Social-Media-Post zu Klimaprotesten
Vor fast genau zwei Jahren verweigerte die Bundestagspolizei Stefan Diefenbach-Trommer den Zugang zum Bundestag.
In gewohnter Weise hatte dieser sich im Zuge seines Berufes bei der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung” als Interessenvertreter für den Zugang zum Bundestag angemeldet. Diese Allianz, bestehend aus rund 200 Vereinen, setzt sich auf verschiede Weise für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts sowie die Rechtssicherheit gemeinnütziger Vereine ein. Zum Zeitpunkt gab es bereits keine längerfristig gültigen Lobby-Hausausweise mehr, sondern ausschließlich Tagesausweise auf Basis von Lobbyregister-Eintragungen – an sich sehr positive Entwicklungen, was Transparenz und Regelungen von Lobbyarbeit angeht.
Nur einen Tag vor dem geplanten Termin am 2. Dezember 2022 erhielt Stefan jedoch einen Anruf von der Bundestagspolizei, die ihm erklärte, dass er am kommenden Tag und auch weiterhin nicht in den Bundestag dürfe, weil es Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Person gebe.
Auf meine Nachfrage zum Grund erklärte die Person am Telefon, ich müsse schon selbst wissen, in welchen Kreisen ich mich bewege.
Nach Infos aus dem Bundestag war das Zutrittsverbot auch Thema rund um eine mögliche Einladung als Sachverständiger, als welcher Stefan bereits häufiger geladen war.
Wider der Aussage des Bundestagspolizisten wurde der Grund erst aus einer späteren Akteneinsicht erkenntlich: Die Einschätzung und das darauf folgend ausgesprochene Verbot des Zugangs zum Bundestag ergab sich aus drei Social-Media-Postings bei
𝕏 und Facebook.
In jenen Beiträgen bezog sich Stefan auf die Letzte Generation vor den Klima-Kipppunkten und empfahl, einen Podcast mit seiner Tochter anzuhören, die für diese ein Interview gegeben hatte. Aus der Akte ergab sich, dass die Bundestagspolizei offenbar den Namen gegoogelt und aus diesen Ergebnissen eine Gefahrenprognose abgeleitet hatte:
Sie hat also eine belastende Rechtsfolge auf eine private Meinungsäußerung bei Social Media gestützt, in welcher sich mit den Zielen einer Protestgruppe für mehr Klimaschutz solidarisiert wurde.
Man kann das Mittel des zivilen Ungehorsams gut oder schlecht finden, es als effektiv ansehen oder denken, es erweise der Sache einen Bärendienst. All dies kann und darf man öffentlich äußern. Das Verweigern des Zutritts zu einer Institution wie dem Bundestag auf der Grundlage einer solchen persönlichen Meinungsäußerung stellt hingegen eine gefährliche Grundrechtsbeschränkung dar, die in diesem Fall auch noch die Berufsfreiheit und die Meinungsäußerungsfreiheit berührt.
In dem Fall ging es “nur” um eine Meinungsäußerung auf Social Media. Der Europäische Menschengerichtshof (EGMR) entschied im April 2023 sogar, dass ein Zutrittsverbot zum polnischen Parlament für Aktivist:innen als Folge eines Protests (im Parlament selber) einen Eingriff in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, also in die Meinungsfreiheit, darstellt.
Entsprechend klagte Stefan gemeinsam mit einer Anwältin und der finanziellen Unterstützung des Umwelt-Treunhandfonds gegen dieses Zutrittsverbot: Am 29. November 2024 befasste sich das Verwaltungsgericht Berlin mit der Frage, ob das Zutrittsverbot berechtigt war.
Die Bundestagspolizei wollte sich einer inhaltlichen Entscheidung entziehen und argumentierte, es gebe kein Rechtsschutzbedürfnis mehr, da der Zugang mittlerweile wieder gewährt würde und die Verfahren der Zugangsprüfung geändert seien. Beides ist bereits ein Erfolg der Klage.
Dass ich wieder im Bundestag ein- und ausgehen kann, liegt wohl vor allem daran, dass ich in den Folge-Gesprächen mit der Bundestagsverwaltung deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, dass ich selbstverständlich den Bundestag und die staatliche Ordnung achte; dass ich dort im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit hin gehe und keinesfalls vorhabe, in irgendeiner Weise eine Störung zu erzeugen. So eine Frage hatte mir die Bundestagspolizei nicht gestellt, die auf jede Anhörung verzichtete. Sie hat offenbar auch keine anderen Tatsachen zu meinen Gunsten berücksichtigt (etwa, dass ich seit Jahren zu Gesprächen in den Bundestag von Abgeordneten eingeladen werde). Ausweislich der Akteneinsicht fand schlicht keine Abwägung statt.
Der Fall ist keiner, der großes Aufsehen erregt. Verwaltungsklage klingt für die meisten Menschen außerdem vor allem eins: langweilig.
Dieser beispielhafte Fall des Ausschlusses trägt jedoch eine tiefe Bedeutung: Denn das Vorgehen schreckt im schlechtesten Fall Menschen ab, ihre Grundrechte auszuüben und isoliert Protestbewegungen. Welche öffentliche Aussage, sei es auf Social Media, in Interviews oder öffentlichen Räumen erneut zu einem Ausschluss aus dem Bundestag führen könnte, ist augenscheinlich unklar.
Die Verweigerung des Zutritts einer Person zum Bundestag auf dieser Basis ist auf diversen Ebenen extrem kritisch zu betrachten, da sie den Zugang zu einem zentralen Ort der politischen Teilhabe und Demokratie sowie der politischen Meinungsbildung beschränkt. Zwar ist der Bundestag kein öffentlicher Raum im engeren Sinne, doch der Zugang zu politischen Institutionen ist ein wichtiger Aspekt der Meinungsfreiheit. Politisches Engagement, sei es ehrenamtlich oder hauptamtlich, setzt den Zugang zu politischen Institutionen voraus. Durch den Ausschluss wird die Möglichkeit genommen, sich aktiv einzubringen. Eine Zutrittsverweigerung kann als Signal wahrgenommen werden, dass eine Person stellvertretend für eine Gruppe von der politischen Teilhabe ausgeschlossen wird. Eine wesentliche Aufgabe der diversen zivilgesellschaftlichen Akteure ist außerdem die Kontrolle und Überwachung politischer Institutionen, um Transparenz und Rechenschaftspflicht zu fördern. Wenn der Zugang willkürlich oder unverhältnismäßig eingeschränkt wird, wirft dies Fragen nach Gleichbehandlung und Chancengleichheit auf. Alle Bürger:innen müssen unabhängig von ihrer Herkunft, politischen Ansichten oder sozialen Stellung die Möglichkeit haben, sich einzubringen – auf verschiedenste Weise.
Die Verweigerung des Zutritts zu einem Ort wie dem Bundestag muss selbstverständlich im Kontext der Rechtsstaatlichkeit und der Sicherheit betrachtet werden. Ein Ausschluss auf Grundlage eines Social-Media-Posts, der sich mit einer politischen Protestbewegung solidarisiert, oder auch nur auf diese hinweist, läuft dem Grundsatz der offenen politischen Partizipation jedoch klar zuwider.
Diese Unsicherheit begleitet meine Arbeit und mein privates bürgerschaftliches Handeln. Die Abschreckungswirkung einer Zutrittsverweigerung ist also enorm, für mich sowie für andere. Eine rechtliche Klärung ist daher dringend notwendig. Denn weit über meinen Fall hinaus wissen wir nicht, wer wegen öffentlicher Stellungnahmen oder Demonstrationen noch nie in den Bundestag gekommen ist und so von einem Teil des Diskurses ausgeschlossen wird.
Update 29.11.2024
Das Verfahren am Freitag, den 29.11.2024 mündete in einem gerichtlichen Vergleich: Auf Grundlage der Äußerung Stefans, dass er den Bundestagsbetrieb selbstverständlich nicht störe, sondern schlicht beruflich regelmäßig Zutritt braucht, erklärte die anwesende Bundestagsvertretung, dieser Aussage Glaube zu schenken und solche Erwiderungen zukünftig mit in die Entscheidung einzubeziehen – etwas, was sie vor 2 Jahren nicht taten. Vor dem Hintergrund von besagten Social-Media-Posts als Grund ist das das Mindeste. Dass es überhaupt zur Verweigerung kam, bleibt unverständlich. Ebenso unverständlich bleibt, dass es quasi ein Eingeständnis des damaligen Fehlverhaltens der Bundestagspolizei durch die Blume gab – eine Entschuldigung an Stefan im Verlauf des gesamten Verfahrens jedoch nicht, der maßgeblich an der Ausübung seiner Arbeit gehindert wurde.