Itzehoe oder “Ein Schlag in die Fresse tut genauso weh, wenn du weißt, dass er kommt”
02.12.2024
11 Minuten Lesezeit
Im Juni 2023 gab es auf Sylt eine Protestwelle, die die absurde Zerstörung durch Superreiche und ihren Lebensstil aufzeigte. Unter anderem wurden ein Privatjet mit Farbe besprüht und ein Golfplatz zum Naturschutzgebiet erklärt. Jetzt stehen in einer Lagerhalle in Itzehoe 6 Angeklagte dafür vor Gericht. Lio erzählt in diesem Bericht von den absurden Umstände des Verfahrens, vom emotionalen Auf und Ab und von den langen Prozesstagen im November in Itzehoe.
Tag 0 (11.11.24)
Mittags setzen wir uns in den Zug nach Itzehoe. Auf der Zugfahrt schnell noch ein bisschen Einlassung weiterschreiben. Eigentlich wollte ich seit Tagen fertig sein, aber bis jetzt habe ich den Prozess so gut es ging verdrängt. Ich hab Angst vor dem Ergebnis. Jetzt kann ich es nicht länger aufschieben, morgen geht es los. In der Unterkunft ankommen, schnell noch was kochen, bügeln und ein bisschen spazieren gehen, um den Kopf freizubekommen. Dann geht es weiter damit, die Einlassung fertig zu schreiben. Um ca. 2:30 Uhr schicken wir die Dateien zum Druck an den Support. Danach so schnell wie möglich ins Bett, denn der Wecker klingelt um 6:45 Uhr. Aber ich brauche richtig lange zum Einschlafen, noch kreisen tausend Gedanken.
Tag 1 (12.11.24)
Ich habe beschissen geschlafen und bin mehrfach aufgewacht, bevor der Wecker klingelt. Ich habe mich spontan für ein anderes Outfit entschieden, also musste ich nochmal bügeln. Zwischen Frühstück schmieren, Snacks und alle Unterlagen einpacken vergeht die Zeit sehr schnell. Um 7:45 verlassen wir das Haus, noch hab ich mein Frühstück nicht runterbekommen. Mir ist viel zu schlecht dafür. Also wird auch mein Frühstücksbrot mit eingepackt, ich probiers einfach später nochmal. Unser erster Bus steht im Stau, deshalb verpassen wir den zweiten. Jetzt heißt es 30 Minuten auf den nächsten Bus warten. 30 unfassbar lange Minuten.
Als wir ankommen stehen schon viele Menschen an der Mahnwache und erwarten uns <3 Ich bin richtig dankbar dafür, denn das macht alles gleich ein bisschen weniger schlimm. Vertraute Menschen, Menschen, die solidarisch mit uns sind, die ihren Support für uns zeigen. Wir sind nicht allein an diesem unfassbar absurden Ort. Die Presse ist auch schon da und filmt alles, was wir machen. Wie wir ankommen, wie wir mit unserem Support reden, wie wir Fotos von der Mahnwache machen. Ich hab das Gefühl, kein Blick bleibt unbeobachtet, keine Bewegung bleibt ungefilmt. Wir ziehen uns am Rand nochmal mit unseren Anwältis zurück, um letzte Absprachen zu machen. Auch das will die Presse filmen – macht sie dann aber doch nicht.
Jetzt gehen unsere Anwältis ins Gebäude rein. Dann die Presse. Nach ewigem Warten geht das Drehkreuz zum Gelände auch für uns auf. Komplette Durchsuchung. Den gesamten Rucksack einmal ausräumen und Körperabtastung. Und als wär das nicht vor so vielen Menschen schon unangenehm genug, werden wir auch dabei gefilmt.
Aber wenigstens dürfen wir mit der neuen sitzungspolizeilichen Anordnung Essen und Trinken mitnehmen. Ursprünglich wäre das nicht erlaubt gewesen und auch unsere Anwältis hätten durchsucht werden müssen. Zuschauer:innen dürfen weiterhin nichts außer ein Notizbuch und einen Stift mit hineinnehmen, kein Rucksack, kein Essen, kein Trinken. Nach der Durchsuchung geht’s weiter hinein in dieses absurde Gebäude. Ein Logistikzentrum – ein sehr graues und trauriges Gebäude. Der zweite Stock ist ein Ausweichraum des Landgerichts Itzehoe. Für unseren Prozess ist das Amtsgericht Niebüll zuständig, aber die haben in ihrem größten Saal nicht mal für alle Angeklagten genug Platz. Deswegen findet der Prozess ca. 140 km entfernt von Niebüll in den Räumen des China Logistics Center Itzehoe statt. Der Saal ist riesig. Ganz vorne die Richterin und die Justizobersekretärin, die Protokoll schreibt, auf einem Podest. Auf der einen Seite der Staatsanwalt, auch auf einem Podest. Auf unserer Seite drei Reihen mit je drei Tischen. Pro Tisch eine angeklagte Person und die jeweilige Verteidigung. Also füllen wir “nur” zwei Reihen aus, denn wir sind zu sechst angeklagt. Der Saal ist ziemlich modern ausgestattet, es hängen mehrere Monitore an den Wänden und auf jedem Tisch von uns gibt es auch nochmal einen Monitor, um Akten anzuschauen. Außerdem haben wir alle ein Mikro vor uns stehen. Die Zuschauer:innen und Presse sind in der hinteren Ecke des Saales durch zwei Plexiglaswände von uns abgetrennt. Und auch wenn sie es sind, die durch die Wände von uns abgetrennt sind, fühlt es sich so an, als ob wir in einem Käfig zur Schau gestellt werden. Alle Augen sind auf uns gerichtet. Was es nicht besser macht, ist, dass noch nicht aufgerufen wurde – also der Prozess noch nicht offiziell begonnen hat. Deshalb darf die Presse uns gerade noch fotografieren und filmen, so viel sie mag. Dafür können sie auch an den Rand unseres “Bereiches” kommen. So ist das Gefühl konstanter Beobachtung noch größer, denn wir werden konstant beobachtet und gefilmt. Jede einzelne Sekunde wird jede einzelne Bewegung festgehalten. Keine einzelne Sekunde, um in dem Raum anzukommen und mich emotional vorzubereiten.
Kurz nach 10:20 Uhr wird dann endlich aufgerufen, eigentlich sollte es schon um 10 Uhr losgehen. Jetzt darf die Presse nicht mehr filmen und fotografieren. Ich fühle mich trotzdem weiter enorm beobachtet, den jetzt sitzen sie im Zuschauer*innenraum.
Der Prozess beginnt. Unsere Personalien werden festgestellt und dann die Anklage verlesen. Wir werden wegen Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und Störung öffentlicher Betriebe angeklagt. Für zwei der Proteste auf Sylt, den Protest am Privatjet und den auf dem Golfplatz. Jetzt kommen die Einlassungen. Nach meiner Einlassung kommen zahlreiche Fragen von der Richterin und dem Staatsanwalt. Der Staatsanwalt spricht Haftempfindlichkeit als nicht-binäre Person an bzw. fragt, ob Haft als nicht-binäre Person noch schlimmer für mich ist. Ich bestätige und bekomme einen Kloß im Hals. Das bedeutet, dass es sehr sehr wahrscheinlich ist, dass er eine Haftstrafe ohne Bewährung beantragen wird. Noch die letzten Einlassungen und dann stellen wir abschließend noch ein paar Beweisanträge. Um ca. 15:50 Uhr wird die Verhandlung dann bis zu nächsten Tag unterbrochen.
Abends kochen wir Nudeln und bereiten weitere Beweisanträge vor. Es geht wieder spät ins Bett.
Tag 2 (13.11.24)
Der Wecker klingelt wieder um 6:45 Uhr und wir müssen wieder um 7:45 Uhr aus dem Haus. Mir ist wieder übel und ich krieg wieder keinen Bissen runter.
Heute beginnt der Prozess um 9:30 Uhr. Es startet mit ergänzenden Einlassungen. Darauf folgen Stellungnahmen vom Staatsanwalt zu den Beweisanträgen von gestern – er beantragt alle abzulehnen, da sie bedeutungslos und/oder als wahr zu unterstellen sind. Weitere Beweisaufnahmen folgen, wir schauen einige Videos und Bilder des Privatjetprotestes. Es kommt der erste Zeuge, der Polizeizeuge. Er beschreibt seine Erinnerungen an den Tag. Er sagt auch, dass Sylt prädestiniert für Protest ist, mehr medialen Aufschrei kann es nicht geben. Seine Befragung dauert ca. 1,5 Stunden. Dann eine kurze Mittagspause, 35 Minuten, und danach die nächste Zeugenbefragung. Der Safety Manager des Flughafens, seine Befragung dauert ca. 1 Stunde. Danach wird der Chemiker gehört, der ein Gutachten zur Farbzusammensetzung gemacht hat, seine Befragung geht nur ganz kurz.
Nun ein weiterer Beweisantrag und die Anregung, den Golfplatz wegen Geringfügigkeit einzustellen (§154 StPo)
Der Prozesstag neigt sich langsam dem Ende, doch jetzt kommt noch eine Stunde, die richtig schlimm werden wird. Die Richterin hat einen richterlichen Hinweis, nach §265, gegeben, dass beim Jet in Hinblick auf Störung öffentlicher Betrieb Strafbarkeit nach der 1. Alternative (also Störung öffentlicher Unternehmen) in Betracht kommt. Dann sagte der Staatsanwalt noch, dass er eventuell anregt, das Kleben als Widerstand, nach §113, zu werten. Diese letzte Stunde war so nervenaufreibend, und das nicht im positiven Sinn. Eventuell kommt ein neuer Tatbestand dazu und ein anderer wird abgeändert, damit sie uns auch ja zu so viel Strafe verurteilen können, wie irgendwie möglich. So fühlt es sich zumindest an. Dann wird um 16:50 Uhr bis zum nächsten Tag unterbrochen.
Wir gehen zu viert einen traditionellen “Prozessfalafel” essen. Es geht wieder spät ins Bett und ich hab wieder scheiße geschlafen.
Tag 3 (14.11.24)
Der Prozess geht weiter. Der Staatsanwalt verneint die Verfolgung des Widerstands und nimmt Stellung zu den Anträgen von gestern. Die Beweisanträge seien abzulehnen. Der Anregung nach §154 stimmt er allein aus prozessökonomischen Gründen zu. Also stellt er einen Antrag auf Einstellung. Die Richterin stimmt zu. Zumindest ein kleiner hoffnungsvoller Moment.
Die Richterin, der Staatsanwalt und unsere Anwältis ziehen sich dann zu einem Rechtsgespräch in einen extra Raum zurück. Wir wissen nicht worüber und wie lange sie sprechen werden. Die Zeit vergeht ziemlich langsam, ich hab Angst. Was, wenn noch ein Tatvorwurf dazukommen soll? Unsere Anwältis erzählen uns nach dem Gespräch, dass es um den Vorwurf der Störung öffentlicher Betriebe/Unternehmen ging und dieser nicht weiter verfolgt werden soll. Es geht direkt in die Mittagspause, wir haben vor dem Gebäude ein kleines Picknick aufgebaut.
Nach der Mittagspause dann die Bestätigung, die Strafverfolgung wird, nach §154a, auf Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch beschränkt. Nur noch eine Zeugenbefragung, bevor bis zum nächsten Tag unterbrochen wird. Ein Sachverständiger, der für eine Versicherung ein Gutachten geschrieben hat, seine Befragung geht 2 lange Stunden.
Abends sind wir mit dem Support “Prozessfalafel” essen und danach ein bisschen Karten spielen, um den Kopf freizubekommen. Ich bin so fertig, dass ich später auf der Couch einschlafe.
Tag 4 (15.11.24)
Wieder früh raus, zum traurigen grauen Logistikzentrum. Wieder durchs Drehkreuz. Wieder Durchsuchung und Abtasten. Und leider nicht zum letzten Mal, denn wir werden heute nicht fertig werden.
Der Prozess geht weiter und die Richterin lehnt alle Beweisanträge ab. Die Bundeszentralregister- Einträge werden vorgelesen. Bei mir sind es vier Eintragungen, also vier rechtskräftige Verurteilungen. Jetzt die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Es ist mir jedes Mal wieder unangenehm sagen zu müssen, dass ich kein Geld habe. Zum Glück ist gerade nur noch ein Presseteam da.
In einer Pause schenken uns Supoortleute Glückskekse. In meinem steht: “Nichts ist falsch, wenn dir dein Herz sagt, dass es das richtige ist”. Sehr passend finde ich.
Danach hat der Staatsanwalt sein Plädoyer. Lange Ausführungen. Warum es falsch sei. Dass einzelne Widerstand leisten dürfen, wenn die Demokratie angegriffen wird. Und dass wir in einer funktionierenden Demokratie leben, deswegen dürfe man das nicht. Dass das Gericht Fernziele nicht berücksichtigen dürfe. Dass bei Regi und mir eine spezialpräventive Einwirkung notwendig sei. Aber es bei uns ja zu berücksichtigen sei, dass wir als nicht-binäre Personen besonders haftvulnerabel sind. Und strafverschärfend für uns beide noch, dass wir uns nicht distanziert haben, sondern weitermachen würden. Bei uns reiche eine Geldstrafe nicht aus.
Er fordert fünf Monate Haft ohne Bewährung für Regi und mich. Für den Pressefotografen Freispruch und die anderen beiden 100 bzw. 130 Tagessätze (eine Person ist durch die Einstellung nicht mehr angeklagt)
Es fühlt sich so an, als ob alles stehen bleibt.
Dann noch Gesamtstrafenbildung.
Damit sind es sogar 8 Monate Haft ohne Bewährung für mich.
Es ist so, als hätte er den Dolch nicht nur in meinen Rücken gestochen, sondern ihn jetzt auch noch gedreht.
Ich gebe mein Bestes gegeben, nicht loszuheulen, während der Prozess noch läuft. Dann wird unterbrochen, bis in drei Wochen. Ich laufe in den Zuschaue*innenraum, umarme eine Supportperson und kann die Tränen nicht mehr stoppen, sie laufen strömen über mein Gesicht. Die Person, die ich umarme, weint auch. So stehen wir da eine Weile, ich weiß nicht wie lange. Die Tränen hören nicht auf, doch irgendwann will ich zu meinem Platz zurück. Meine Sachen packen, um dieses scheußliche Gebäude endlich zu verlassen. Doch die Kameras filmen unsere Plätze, Regi und ich versteckeh uns hinter einer Wand vor den Kameras. Ich sitze auf dem Boden und heule weiter. Die Justizbeamten wollen uns irgendwann rausschmeißen, wir können sie aber davon überzeugen, uns noch kurz vor der Presse zu verstecken. Dann endlich raus aus dem Gebäude. Ich hatte echt gehofft zum letzten Mal an diesem Tag in diesem Gebäude sein zu müssen, aber nein, jetzt hängen wir drei Wochen in der Schwebe und warten darauf, was die Richterin urteilen wird. Aber ich habe wenig Hoffnung. Es ist der erste eigene Prozess der Richterin, vorher war sie Richterin auf Probe. Jetzt sind ihr Gesicht und ihr voller Name in der BILD. Sie wird von allen Seiten enorm unter Druck stehen. Und ehrlich gesagt glaube ich, dass sie mit dem Staatsanwalt mitgehen wird.
Regi hat ziemlich treffend gesagt: „Ein Schlag in die Fresse tut genauso weh, wenn du weißt, dass er kommt”.
Es war mit Haftstrafen zu rechnen, aber deswegen fühlt es sich jetzt nicht weniger beschissen an.