Konzept der Wahlverteidigung: Hintergrund und eigene Erfahrung, Januar 2024
von Zoë Ruge aus der Rechtshilfearbeit.
In Deutschland ist es möglich, sich von Anwält:innen vor Gericht vertreten zu lassen, sich selbst zu verteidigen (dafür bieten wir Workshops und Trainings an), oder sich auf das Recht auf eine Wahlverteidigung zu berufen und dadurch bis zu drei Wahlverteidiger:innen zu beantragen. Solche Wahlverteidiger:innen müssen keine Volljurist:innen oder zugelassene Anwält:innen sein. Es können auch Aktivist:innen oder unterstützende Menschen sein, wie zum Beispiel einige Menschen aus der Rechtshilfearbeit des RAZ.
Grundlegend ist für eine solche Berechtigung auf Verteidigung unter anderem Artikel 6 der Menschenrechtskonvention, “Recht auf ein faires Verfahren”, Absatz 3. Dort heißt es, dass
“Jede angeklagte Person […] mindestens folgende Rechte [hat]: […] c) sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist.“
In der Strafprozessordnung heißt es in in § 138 wie folgt:
(1) Zu Verteidigern können Rechtsanwälte sowie die Rechtslehrer an deutschen Hochschulen im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt gewählt werden.
(2) Andere Personen können nur mit Genehmigung des Gerichts gewählt werden. Gehört die gewählte Person im Fall der notwendigen Verteidigung nicht zu den Personen, die zu Verteidigern bestellt werden dürfen, kann sie zudem nur in Gemeinschaft mit einer solchen als Wahlverteidiger zugelassen werden.
Gesetzestexte sind nicht immer selbsterklärend, aber § 138 StPO ist die Grundlage dafür, dass es in Deutschland auch Wahlverteidiger:innen ohne Anwaltszulassung gibt – insofern diese vom Gericht als Rechtsbeistand zugelassen werden. Der § 138 Abs. 2 StPO stellt des Weiteren strenge Anforderungen an Bedingungen, unter denen die Beiordnung einer Verteidigung abgelehnt werden kann. Nach durchweg übereinstimmender Kommentierung und Rechtsprechung ist ausschließlich das Interesse des Angeklagten / Betroffenen an einer Verteidigung gegen die Bedürfnisse der Rechtspflege abzuwägen, wobei die Genehmigung praktisch erteilt werden muss, wenn keine konkreten und schwerwiegenden Bedenken gegen die Person des Verteidigers bestehen.
Aufgrund der aktuellen Kommentierungen spielen besonders das Vertrauensverhältnis zwischen angeklagter Person und Wahlverteidiger:in, sowie die speziellen Erfahrungen der Wahlverteidiger:in, eine Rolle bei der Zulassung durch das Gericht. Außerdem sollten Wahlverteidiger:in nicht an der zu verhandelnden Tat beteiligt gewesen sein und auf unterschiedlichste Weise eine Expertise mitbringen, bzw. nachweisen können.
Ich persönlich habe kein Jura studiert. Allerdings habe ich mich durch Prozessworkshops, spezielle Trainings- und Fortbildungsangebote, und selbstständiges Lernen, sowie regelmäßige bis intensive Zusammenarbeit mit Anwält:innen und Volljurist:innen besonders in die Vorwürfe der Nötigung, § 240 StGB, des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamt:innen, § 113 StGB, und der Sachbeschädigung, § 303 StGB, eingearbeitet. Mittlerweile habe ich Aktivist:innen an verschiedenen Amts- und Landgerichten, u.a. Freiburg, Dresden, Jena, und Frankfurt, Menschen als Wahlverteidigung unterstützt. Einzig und allein in Berlin werde ich aufgrund anhängiger Strafverfahren (keine rechtskräftigen Verurteilungen) bisher nicht zugelassen.
Im November 2022 habe ich das erste Mal einen Aktivisten der Letzten Generation vor dem Amtsgericht Freiburg verteidigt. Damals war ich noch aufgeregter als wenn ich selbst angeklagt gewesen wäre. Nach einem langen Gerichtsprozess, der mich auch an einigen Stellen noch ziemlich verwirrt hat, mit so einigen Beweisanträgen und inhaltlichen Diskussion zur Klimakrise, kam es zu einem für uns überraschenden Urteil: Der Aktivist wurde in zwei tateinheitlichen Fällen freigesprochen!
Natürlich wusste ich, dass dies sicher nicht an meiner persönlichen Verteidigungsleistung gelegen haben kann, aber es war doch durchaus motivierend. Ein wichtiges Fazit von dieser ersten Verhandlung, auf die so einige am Amtsgericht Freiburg folgen sollten bis ich auch selbst als Angeklagte hinter demselben Tisch sitzen sollte, war für mich, dass ich als Verteidigung wichtig bin, aber Richter:innen oft wissen, in welche Richtung ihr Urteil gehen wird.
Es gibt Verfahren, in denen die Entscheidung für eine Wahlverteidigung sehr sinnvoll sein kann. Aber es gibt auch Verfahren, in denen ein:e Anwält:in durchaus wichtig ist, oder sogar eine Selbstverteidigung strategisch und individuell Sinn ergibt. Dies gilt es bei der Verfahrensbetreuung jedes Mal bei den Vorbereitungen abzuwägen.
Spannend ist auf jeden Fall, dass ein erfolgreiches Verfahren nicht direkt mit der Wahl der Verteidigung zusammenhängt. Ein abgeschlossenes Jurastudium oder langjährige Erfahrung als Anwält:in bedeutet nicht automatisch ein besseres Ergebnis oder gar einen Freispruch. Ich habe selbst in Verfahren verteidigt, die zu Verwarnungen, Einstellungen, Freisprüchen, oder Geldstrafen geführt haben. Und genau so habe ich Verfahren betreut, in denen Anwält:innen zu unterschiedlichsten Ergebnissen mit ihren Mandant:innen gekommen sind.
Mit ausreichender Vorbereitungszeit lassen sich die unterschiedlichen Optionen durchdenken und aufbauend auf den Faktoren dann eine Wahl der Verteidigung treffen: Emotionaler Zugang zur Richterin durch eine eher persönliche Selbstverteidigung? Konfliktverteidigung durch eine:n Anwält:in? Politischer Prozess mit Wahlverteidiger:in? Selbstverteidigung mit einem vorbereiteten juristischen Plädoyer?
Dies ist alles möglich und es lohnt sich immer auch als Nicht-Jurist:in einen Antrag auf Zulassung bei den Gerichten zu stellen!