Auftakt Strafverfahren zur Aktion am Brandenburger Tor: Kurzer Prozess am Amtsgericht Tiergarten
27. März 2024, 14:30 Uhr
Am 26. März 2024 fand die erste mündliche Verhandlung in Berlin in Verbindung mit dem Besprühen des Brandenburger Tors durch Aktivist:innen der Letzten Generation statt. Der RAZ e.V. begleitet das Verfahren, welches nur das erste in diesem Kontext stattfindende ist – mündliche Verhandlungen der weiteren Beschuldigten sind für die kommenden Monate terminiert.
Hintergrund zur Hauptverhandlung
Am 17. September 2023 besprühten einige Menschen die sechs Säulen des Brandenburger Tors in Berlin im Zuge einer Aktion der Letzten Generation mit oranger Farbe.
Die erste Verhandlung zu dieser Aktion fand gestern vor dem Jugendstrafgericht statt – zwei der damals Beteiligten waren zum Aktionszeitpunkt 21 Jahre und jünger. Bei zwischen 18- und 21-jährigen hat das Gericht die Möglichkeit zu entscheiden, ob es nach Jugendstrafrecht oder nach Erwachsenenstrafrecht urteilt – anders als beim Erwachsenenstrafrecht stehen unter Jugendstrafrecht sog. erzieherische Maßnahmen im Raum.
Der RAZ e.V. übernimmt die allgemeine Verfahrensbetreuung. Dies beinhaltet die Vermittlung zu der anwaltlichen Vertretung der beiden jungen Aktivist:innen, sowie die Organisation weiterer Verteidigungs-Ressourcen, den Kontakt zu Sachverständigen und das Fungieren als allgemeiner Kommunikator, wo immer es nötig ist. Vor allem auch die sozial-emotionale Betreuung der angeklagten Personen fällt in diesem politisch besonders unter Druck stehenden Verfahren darunter.
Orange Farbspritzer auf der Kleidung
Wie im direkten Presse-Echo der Verhandlung breit aufgegriffen, trugen die beiden Aktivisten die gleiche mit oranger Farbe bespritzte Kleidung, wie bei der Aktion selbst. Symbolisch reihte sich dies in ihre Verteidigungsstrategie ein; beide stehen dazu, dass sie an der Aktion beteiligt waren und mit Feuerlöschern Farbe sprühten. In der Einlassung eines Aktivisten heißt es:
Ich war dort. Ich habe eine Säule mit einem präparierten Feuerlöscher besprüht. Habe mich an dem Protest beteiligt. Was könnte die Menschen besser an die Wirksamkeit von friedlichem Protest gegen geltendes Unrecht erinnern, als das Brandenburger Tor. Geschichtsträchtig, berühmt und legendär. Die Farbe auf den Säulen als Erinnerung, dass ziviler Widerstand gegen Unrecht eine Wirkung zeigen kann.
Beide jungen Aktivisten hatten eine Einlassung und ein Schlusswort vorbereitet für die Verhandlung, in dem sie ihre Beweggründe für eine Beteiligung an der Aktion erklärten. “Zur Sache”, wie es bei Verhandlungen heißt, hatten sie nicht vor, sich weiterführend inhaltlich zu äußern. Der Protest selbst und ihre erklärten Beweggründe der Beteiligung sagten alles Nötige aus. Da die beiden sich an diesem Tag dennoch vor Gericht dafür erklären mussten, wurden außerdem weitere Anträge vorbereitet: Die Ladung von Sachverständigen zur Bestätigung der Tatsache, dass friedlicher und ziviler Ungehorsam ein effektives und zugleich demokratisches Mittel ist, um politische Einflussnahme zugunsten einer wirksamen Klimapolitik auszuüben. Die Ladung des Vorsitzenden des Weltklimarats (IPCC) als sachverständigen Zeugen zur Erläuterung der aktuellen und auf die Menschheit zukommenden katastrophalen Auswirkungen der weiteren Erderhitzung.
Während des Verfahrens fand eine Mahnwache von Unterstützer:innen vor dem Gerichtsgebäude statt, beide Angeklagten gaben der zahlreich erschienenen Presse Interviews und Statements: Sowohl das Brandenburger Tor, als auch den Gerichtssaal, als auch möglichen medialen Raum wollten sie nutzen, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen und über die Verantwortung der Regierung, diese bestmöglich und sozial gerecht abzuschwächen, zu sprechen.
Politischer Druck
Aus der Einlassung einer der Angeklagten:
Mein Ziel war nicht, das Denkmal langfristig zu beschädigen. Trotzdem stehe ich zu dem, was ich getan habe. Für die Folgen der Aktion will ich Verantwortung übernehmen. Gleichzeitig will ich einstehen für meine Überzeugung, dass ziviler Widerstand gegen das tödliche “Weiter So” des aktuellen Alltags angebracht, notwendig und wirksam ist. Weil unsere Regierung ihre eigenen Gesetze und völkerrechtlich bindende Verträge nachweislich bricht. Ziviler Ungehorsam ist eine wichtige Art der politischen Partizipation und damit essentieller Bestandteil einer jeden Demokratie. Davon bin ich überzeugt.
Dass das Verfahren unter besonderem politischen Druck steht, war mehrfach zu bemerken: Bereits die Anklageschrift kam innerhalb von 1 ½ Monaten nach der Aktion – die Regel sind in Berlin eher 6-12 Monate. Als Vertreter der Staatsanwaltschaft nahm außerdem der Oberstaatsanwalt Brocke persönlich teil. Die Staatsanwaltschaft ist in Deutschland politisch weisungsgebunden – und der Protest hatte scharfe Kritik diverser Politiker:innen hervorgerufen.
Beim Betreten des Gerichts wurden die diversen Zuschauenden deutlich intensiver als sonst durchsucht, inklusive Schuhe ausziehen und durchsuchen. Außergewöhnlich viel Presse war da – bereits eine Woche vorher wurde über das Verfahren medial berichtet.
Auch lagen trotz der erhöhten Öffentlichkeit der Verteidigung nicht alle benötigten Akten vor und war die Raumgröße nicht ausreichend für alle Zuschauer:innen.
Da die Berliner Finanzverwaltung zivilrechtlich 142.000 Euro von den Beschuldigten einfordern will, war die Stimmung im Saal entsprechend angespannt, auch wenn es gestern konkret um die strafrechtliche Verhandlung wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung ging. Eine Verurteilung dafür wäre aber folglich die Rechtfertigung für die Forderung.
In Anbetracht des äußeren Drucks schien der Richter erstaunlich entspannt. Oberstaatsanwalt Brocke hingegen war sich augenscheinlich der Relevanz dieses ersten Verfahrens im Kontext der Brandeburger-Tor-Aktion bewusst. Er wollte u.a. vor der Öffentlichkeit nicht über die Teilakte zum Antrag des Berliner Immobilien Management (kurz: BMI, eine externe Firma, die im Auftrag des Land Berlin für das Brandenburger Tor zuständig ist) zu den „Hintermenschen“ der Aktion sprechen. Das BMI hat im Vorfeld Strafanträge gegen Menschen der Letzten Generation, die nicht direkt an der Aktion beteiligt waren, wegen sog. Anstiftung gestellt. Diese Akte wurde der Verteidigung im Vorfeld und auch im Verfahren trotz Antrag vorenthalten.
Kurzer Prozess
Der Oberstaatsanwalt war der Meinung, diese Akte hätte mit dem Verfahren nichts zu tun. Die Verteidigung attestierte Willkür in der Aktenführung, da neben besagter Akte auch Mails zwischen Oberstaatsanwaltschaft und dem Landeskriminalamt (LKA) in der Akte fehlten und keine sinnvolle Verteidigung stattfinden kann, auch wenn die Beschuldigten die Tat zugeben. Gespräche zu der fehlenden Akte fanden im Rechtsgespräch und dementsprechend ohne Öffentlichkeit statt.
Für das Verfahren war nur ein Verhandlungstermin anberaumt worden – was im Zuge des dahinterstehenden Drucks und des öffentlichen Interesses sowie der Tragweite der Aktion bereits kurzsichtig erschien. Wie zu erwarten, wurde die Verhandlung nicht abgeschlossen – jedoch nach knapp 2 Stunden vertagt, um über einen Antrag der Verteidigung zu entscheiden: Ein Sachverständigengutachten einzuholen zu der Reinigungsmethode um zu beweisen, dass mit korrekter Reinigung weit weniger Kosten und eine weit weniger aufwendige Reinigung angefallen wären.
Die Fortführung des Prozesses ist damit ausgesetzt, bis über den Antrag entschieden wird.
Der RAZ e.V. begleitet die kommenden Verfahren und wird auf seiner Website hierzu berichten.