Zweites Strafverfahren zur Brandenburger-Tor-Aktion: „kurzen Prozess machen und harte Kante zeigen“
02. Mai 2024
Am 23. April 2024 fand die zweite mündliche Verhandlung in Berlin in Verbindung mit dem Besprühen des Brandenburger Tors durch Aktivist:innen der Letzten Generation statt. Der RAZ e.V. begleitet das Verfahren, welches das erste abgeschlossene Verfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten in diesem Kontext ist – mündliche Verhandlungen der weiteren Beschuldigten sind für die kommenden Monate terminiert, auch die Fortsetzung des ersten Verfahrens vor dem Jugendstrafgericht vor einigen Wochen.
Regina S., Lennart W., und Winfried L. wurden zu einer 8-monatigen Haftstrafe auf zwei Jahre Bewährung verurteilt.
Die Verteidigung und die drei Beschuldigten haben angekündigt, Rechtsmittel einzulegen.
Hintergrund zur Hauptverhandlung
Am 17. September 2023 besprühten einige Menschen die sechs Säulen des Brandenburger Tors in Berlin im Zuge einer Aktion der Letzten Generation mit oranger Farbe.
Am 23. April 2024 fand für drei Aktivist:innen vor dem Amtsgericht Tiergarten in der Turmstraße die Hauptverhandlung hierzu statt: Regina S. (22 Jahre alt), Lennart W. (27 Jahre alt), und Winfried L. (64 Jahre alt), jeweils gemeinsam mit ihren Anwält:innen. Der Vorwurf lautete gemeinschaftliche, gemeinschädliche Sachbeschädigung. Die im Raum stehende geschätzte Schadensersatzhöhe liegt bei 141.000€ – eine Summe, die jedoch strittig ist, da im Raum steht, ob durch eine zeitnahe und andere Art der Reinigung die Kosten erheblich niedriger hätten ausfallen können.
Die Verfahren zur Aktion am Brandenburger Tor stehen unter enormem politischen Druck (siehe auch Blogbeitrag zur ersten Verhandlung). Da sich dies sowohl im Vorhinein als auch nach der Urteilssprechung auf die angeklagten Aktivist:innen auswirken kann, werden diese bestmöglich unterstützt vom Emotional-Psychologischen Support des RAZ e.V.
Anwält:innen zum Urteil
Die Anwält:innen der drei Aktivist:innen waren sich einig – das Urteil sei ein Abbild des politischen Drucks hinter dem Verfahren und für den Vorwurf der Sachbeschädigung übertrieben.
Lukas Theune, Anwalt im Verfahren und Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, ordnet den Prozess ein:
„Die Richterin war von Anfang an auf dem Kurs, kurzen Prozess machen und harte Kante zeigen zu wollen. Es ging ihr nicht darum, den Sachverhalt umfassend aufzuklären: Sämtliche Beweisanträge der Verteidigung hat sie abgelehnt, dabei als Begründung viele der zu beweisenden Tatsachen als wahr unterstellt. Diese Wahrunterstellung hat sie nachher in der Urteilsbegründung aber nicht mehr eingehalten.“
Inga Schulz, die Rechtsanwältin von Regina S., führt weiter aus:
„Die Urteilsbegründung zeigt, dass die Richterin den Sachverhalt nicht unvoreingenommen aufklären wollte. Stattdessen wurde die Farbaktion am Brandenburg Tor als Anschlag auf „das Deutsche Nationaldenkmal“ gewertet. Eine Bewährungsstrafe für eine Sachbeschädigung ist eine singuläre Entscheidung und keine angemessene Reaktion auf zivilen Ungehorsam.“
Ein würdiger Gebrauch unseres Nationaldenkmals
Die Aktivist:innen hatten während der knapp drei Stunden andauernden mündlichen Hauptverhandlung ausführlich dargelegt, wieso sie sich für das Besprühen des Brandenburger Tors entschieden hatten.
In ihrer Einlassung erklärte Regina, die Medizin studiert und nebenher auf der Intensivstation eines Krankenhauses arbeitet:
“Das Brandenburger Tor ist ein Denkmal. Es hat mehr Aufgaben, als nur auf TouriFotos zu sein. Es steht da und erinnert uns heute daran, dass einmal die Mauer fiel.
Vor 200 Jahren hat es die Menschen an das Ende der napoleonischen Herrschaft erinnert. Und im Herbst hat es, zumindest für eine kurze Zeit, an die Klimakatastrophe erinnert. Hedwig Richter, Professorin für neue und neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München, hat unsere Aktion „einen würdigen Gebrauch unseres Nationaldenkmals genannt“. Es ist schon ein wenig absurd, dass wir jetzt hier vor Gericht stehen und angeklagt werden, weil wir auf die Grund- und Menschenrechtsverletzungen der Bundesregierung aufmerksam gemacht haben. Angeklagt, wegen ein bisschen wasserlöslicher Farbe auf offenporigem Sandstein, während jeden Tag Menschen durch das Handeln der Bundesregierung umgebracht werden.”
Die kompletten Worte von Regina und Lennart sind veröffentlicht in unseren Impressionen aus dem Gerichtssaal.
Unterstützung durch RAZ e.V.
Der RAZ e.V. übernimmt die allgemeine Verfahrensbetreuung. Dies beinhaltet die Vermittlung zu der anwaltlichen Vertretung der beiden jungen Aktivist:innen, sowie die Organisation weiterer Verteidigungs-Ressourcen, den Kontakt zu Sachverständigen und das Fungieren als allgemeiner Kommunikator, wo immer es nötig ist.
Urteile wie dieses, wenn auch noch nicht rechtskräftig, können für die betroffenen Aktivist:innen enorm belastend sein. Entsprechend unterstützt werden Regina, Winfried und Lennart bereits im Vorlauf des Prozesses und insbesondere jetzt danach vom emotional-psychologischen Support des RAZ e.V. Dessen Fachkräfte sind darauf spezialisiert, Unterstützung und Beratung in schwierigen Situationen anzubieten und können helfen, mit emotionalen Belastungen umzugehen und Wege zur Bewältigung zu finden. Der RAZ e.V. unterstützt Menschen in ihrem Engagement für eine pluralistische und inklusive Gesellschaft und ist der Überzeugung, dass jede:r das Recht auf angemessene juristische Verteidigung sowie eine unvoreingenommene Behandlung vor Gericht hat.