Brief aus dem Knast von Kevin
Seit dem 16.12.24 sitzt Kevin Hecht für 38 Tage in der JVA Uelzen im Knast. Kevin wurde in der Folge einer Straßenblockade in Berlin im Zuge eines Gesamtstrafenbeschlusses zu einer Geldstrafe für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt. Mit diesem Vorwurf wird in Berlin im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern angeklagt, wenn Beteiligte sich bei Protesten versuchen, festzukleben. Das Nicht-Zahlen der Geldstrafe ist für Kevin die logische Fortführung des Klimaaktivismus: Klimaprotest ist nicht falsch, nicht verwerflich, und sollte nicht strafbar sein.
Am 19.12.24 schrieb Kevin folgenden Brief aus dem Gefängnis an uns und euch alle
Hallo ihr Menschen da draußen,
heute habe ich den ersten Brief erhalten. Für mich ist das jedes Mal ein kritischer Punkt, wenn ich in Haft bin. Es ist immens schön die aufbauenden und unterstützenden Worte zu lesen. Gleichzeitig ist es immens schwer, weil es den Abstand und Mauern so viel größer erscheinen lässt.
Ich sitze in meinem Haftraum. Es ist ein sonniger Morgen. Auch wenn ich die Sonne aus meiner Zelle nicht sehe, so lässt sie meine karge Zelle gleich viel freundlicher erscheinen. Eine Tasse Grüntee steht dampfend auf dem Tisch. Ich bin mir nicht sicher, wie sehr ich die Sonne genießen kann. Denn neben dem warmen Licht sind auch die Schatten auf dem Tisch kontrastreicher. Die Schatten der Gitterstäbe von meinem Fenster. Kurz vergegenwärtige ich mir, wo ich bin. Ich bin in der JVA Uelzen. Ich glaube mit Sicherheitsstufe 1 sitze ich in Haus 1 ein. Auf jeden Fall besser als in Cottbus. Eine ganz andere Welt als Sicherheitsverwahrung in Bayern. Unwillkürlich muss ich lächeln und atme auf. Scheinen die 4 Ecken der Gitterschatten nur heller zu leuchten oder scheint die Sonne stärker?
Ich bin diesmal erneut in Haft für eine Klimaaktion der Letzten Generation 2022. Verurteilt wurde ich erneut für Widerstand. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt:innen. Warum? Weil bei der Aktion, für die ich verurteilt wurde, keine Autofahrenden am Weiterfahren gehindert wurden. Somit blieb nur noch Widerstand als Strafvorwurf und dafür wurde ich verurteilt.
Ist das angemessen für friedlichen Protest?
Ich weiß es nicht. Doch in jedem Fall macht das Wissen darum meine Haft erträglicher. Widerstand. Seit meiner Präventivhaft in Bayern habe ich noch an 2 ZU-Aktionen teilgenommen. Seit der Haft in Cottbus an keiner mehr. Wie sich die Zeiten doch ändern. Meine U-Haft in Schweden hat mich noch motiviert. Bei der ersten Aktion nach meiner Entlassung wurde in Berlin das erste Mal für Aktivisti die Straße aufgemeißelt.
Inzwischen ist nicht nur Polizeigewahrsam sondern auch Haft etwas geworden, was seinen Schrecken verloren hat. Routine? Keineswegs, doch gewisse Abläufe sind routiniert.
Was ist mit der Angst? Sie ist noch da, oder wieder. Ich glaube, ich habe eine zeitlang geäußert ich hätte keine Angst, sondern Respekt. Eine Freundin hätte gesagt, das war für meine Brusthaare. Gefängnis ist ein angsteinflößender Ort. Egal welcher. Auch wenn meine Hafterfahrung nichts mit Filmen zu tun haben so bleibt Haft scheiße. Doch aktuell sorge ich mich mehr um meine Familie und Freunde. Den meistens geht es deutlich schlimmer wenn ich in Haft bin als mir selbst. Ich bin moralisch zu unflexibel. Auch aufgrund meiner neurodivergenten Empfindsamkeit empfinde ich keinerlei Reue für auch nur eine einzige Klimaaktion. Es ist schon seltsam. Schon in meiner Schulzeit führte meine Empfindsamkeit dazu, dass ich „zu nahe am Wasser gebaut bin“. Über die Jahre gab sie mir die innere Stärke für meine Überzeugungen einzustehen. Vor gut 10 Jahren hatte ich mir diese innere Stärke und Überzeugung nicht träumen lassen. Auch nicht, dass ich mir selbst und der Welt noch so viel zu sagen und zu geben hätte. Ich dachte es gäbe überhaupt nichts mehr was ich noch zu sagen hätte. Nun sitze ich mit dem Urteil Widerstand für eine Klimaprotestaktion in Haft.
In meiner ersten Haft in Schweden bezeichnete der UN-Generalsekretär die Flutkatastrophe in Pakistan als Klimakatastrophe. Ebenso seien die wahren Verbrecher nicht die Klimaaktivisten, sondern die Staaten welche Klimaschutz verhinderten. Gut 2 Jahre später wird 2024 das 1. Jahr werden in indem wir die 1,5° Marke überschreiten werden.
Inzwischen sind alle mitangeklagten Aktivisti aus der Aktion in Schweden freigesprochen worden. Die Rechtslage ändert sich. Doch obwohl die Katastrophen sich weltweit überbieten und inzwischen ein Großteil der Weltbevölkerung Klimaschutz als Priorität der Regierungen sieht, war auch die Cop 29 ein Reinfall für das Klima. Was ist von Politiker:innen zu halten, wenn noch immer über Ziele diskutiert wird, während der Bruch des Parisabkommens nun quasi feststeht?
Was haben all die Proteste gebracht, all die Petitionen, all die Aktionen, all die Zeit in Polizeigewahrsam und hinter Gittern? War alles sinnlos? Aus meiner Sicht kann ich das klar verneinen. Es gab deutliche Fortschritte. Auch wenn sie hinten und vorne nicht gereicht haben. Für mich persönlich kann ich sagen: Hoffnung, Verständnis, Zusammenhalt und vieles mehr durfte ich in der Klimabewegung erleben. Der Mut und die Solidarität die ich gespürt habe, haben mich geprägt und mein Leben verändert. Dafür bin ich von ganzem Herzen dankbar.
Die planetaren Grenzen sind zum Großteil deutlich überschritten. Dabei ist der Biodiversitätsverlust und Überdüngung der Böden sogar noch kritischer als das Weltklima.
Doch was heißt das nun? 1,5° entspricht einer Wahrscheinlichkeit von ca. 50%, dass das Weltklima kippt. Sprich: Russisch Roulette mit 3 Patronen in einem Revolver mit 6 Kammern. Keine guten Chancen. Doch jedes zehntel Grad ist nun umso wichtiger. Es mag zu spät sein um ein kippendes Klima zu verhindern. Doch es ist nie zu spät das Richtige zu tun und für eine lebenswerte Zukunft zu kämpfen.
In Solidarität und Liebe
Kevin Hecht
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Neben Kevin befindet sich auch der 69-jährige Karl in Haft. Viele von uns kennen Kevin und Karl direkt, viele fühlen sich ihnen verbunden, ohne sich jemals begegnet zu sein. Dass diese Menschen in Haft sind, kann auch für uns scheiße sein.
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