Diskussionen mit der Staatsanwaltschaft, Januar 2024.
von Zoe Ruge aus der Rechtshilfearbeit.
Seit über einem Jahr begleite ich Verfahren der Letzten Generation vor den Gerichten Berlins, Freiburgs, Dresdens, Leipzigs, oder auch in Frankfurt am Main (um ein paar Beispiele zu nennen). In dieser Zeit habe ich so einige spannende Aussagen von Richter:innen, Zeug:innen, Angeklagten, und auch Verteidiger:innen gehört. Kritische Aussagen gegenüber der Zweite-Reihe-Rechtsprechung oder dem Umgang und der Nicht-berücksichtigung von den sogenannten Fernzielen in der strafrechtlichen Bewertung von klimaaktivistischen Versammlungen sind vonseiten der Gerichte gehäuft gefallen in den letzten Monaten. Dass solche Bekundungen auch vonseiten der Staatsanwaltschaft Ausdruck verliehen wird, war bisher nie der Fall.
Anders diese letzte Januarwoche.
Als ich in Freiburg einen Aktivisten vor dem Amtsgericht verteidigt habe (es ging um insgesamt drei Straßenblockaden querbeet über drei Aktivisten aufgeteilt), war eine Gruppe an Freiwilligendienstler:innen, sowie natürlich solidarische Mitstreiter:innen der Angeklagten, den gesamten sechsstündigen Gerichtsprozess vor Ort. Erstmal nicht so unnormal, aber schonmal schön. In den Pausen fanden der Staatsanwalt und ich uns dann plötzlich gemeinsam in einer Art Fragestunde mit den jungen Erwachsenen. Die hatten nämlich Fragen zu unterschiedlichsten Stellen in dem bisherigen Prozess. So beantworteten wir beide gemeinsam, teilweise mit leicht unterschiedlichen Blicken auf das bisherige Geschehen, Fragen und diskutierten zum Stichwort Rechtsstaat und Gerechtigkeit. Das war mir vorher noch nicht untergekommen. Auch während des Gerichtsprozesses machte der Staatsanwalt Zugeständnisse, z.B. dem rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) gegenüber, was sonst selten ist. Er betonte, dass man ja durchaus den Aktionen der Letzten Generation einen positiven Effekt auf den öffentlichen Diskurs zur Klimakrise zurechnen kann.
Im Anschluss an die Urteilsverkündung kam der Staatsanwalt dann zu einer längeren Diskussion auf die Angeklagten und mich zu. Er würde ja durchaus das Dilemma sehen. Und auch seine Abteilung. Das Problem sei nur, dass es in unserem System keine Möglichkeiten innerhalb der Justiz gäbe, um wirksam die Bundesregierung zu einer tatsächlichen Umsetzung der notwendigen Ziele im Nachgang des bundesverfassungsgerichtlichen Urteils von 2021 zu bringen.
Ein paar Tage später erzählte ein Anwalt von einer Gerichtsverhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin. Auch hier war Gegenstand des Verfahrens eine Sitzblockade der Letzten Generation gewesen. Dort habe die Staatsanwältin sich an ihn gewandt und mitgeteilt, dass sie seine Einschätzung teilen würde und die Blockade in dem konkreten Fall nicht verwerflich sei. Da sie aber eine Dienstanweisung hätte, dürfe sie aufgrund der fehlenden Verwerflichkeit nicht auf Freispruch plädieren: „Wir sind ja Teil der Exekutive und dadurch einem politischen Willen unterworfen“. Außerdem erzählte die Staatsanwältin, dass in ihrer Abteilung die Staatsanwält:innen die Meinung teilen würden, dass die bisherige Rechtsprechung des Kammergerichtes Berlin zu den Sitzblockaden der Letzten Generation mit Blick auf die Bauernproteste nicht mehr guten Gewissens vertreten könne.
In beiden Situation scheint das bisherige Rechts- und Rollenverständnis der Staatsanwält:innen leicht hinterfragt worden zu sein. Nach über einem Jahr wiederholter Auseinandersetzung mit den friedlichen und ehrlichen Aktivist:innen, die von ihrer Motivation und ihren Protesten zum Schutz der verfassungsrechtlich festgelegten Lebensgrundlagen der zukünftigen Generation vor den Gerichten erzählen, arbeitet es anscheinend in Menschen. Egal ob Richter:in, Zuschauer:in, oder auch Staatsanwält:in.